Zoé Piguet

«Wir wollen ja primär als Game Designer ausgebildet werden»

When Game Design Meets Game Studies

«I do believe that games represent the most vital and vibrant form of culture today, and that they have the power to transform our society in ways we can scarcely imagine.»[1]

Eric Zimmerman, seinerseits Game Designer und Forscher, unterstreicht die Bedeutung, die Games in unserer Gesellschaft haben. Wir stecken derzeit, so Zimmerman, im «ludischen Jahrhundert», welches das 20. Jahrhundert, das «Jahrhundert der Information», ablöst und in dem «Information zum Spielmaterial» wird.[2] Games sind zum Massenmedium geworden und finden heute Einfluss in die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereiche.[3] So erstaunt es denn auch nicht, dass die akademische Auseinandersetzung mit dem Medium der Videospiele wächst.

Etwa zeitgleich wie die Studienrichtung Game Design formierte sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine weitere akademische Disziplin, die «die analytisch-kritische Auseinandersetzung mit digitalen Spielen»[4] zum Ziel hat: die Game Studies. Gundolf S. Freyermuth geht in seinem Aufsatz Game Studies und Game Design auf diese Disziplinen und auf deren Interaktion miteinander ein. Nach einem historischen Überblick zur Entwicklung der Disziplin Game Design zeigt er, ebenfalls anhand eines historischen Überblicks, ein «doppeltes Schisma»[5] der Disziplin Game Studies auf.[6]

Die Disziplin, so Freyermuth, war zunächst von Game Design-Theorien geprägt, die sich stark auf die Praxis fokussierten und eine Anleitung für das Erschaffen ‹guter› Spiele aufzustellen versuchten. Diese «Theorien erster Ordnung» sind auf das künstlerische Element ausgerichtet, die «Theorien zweiter Ordnung» hingegen sozial- und geisteswissenschaftlich geprägt.[7] Freyermuth stellt nun fest, dass weder die Theorien der ersten und zweiten Ordnung, noch die sozial- und geisteswissenschaftlich orientierten Theorien innerhalb der zweiten Ordnung eine Verbindung eingehen, sondern hier ein «doppeltes Schisma»[8] zu beobachten ist. Dieses könne nur durch eine Zusammenarbeit der Disziplinen überwunden werden, indem sich die Game Studies mit «Erkenntnisinteressen und Methoden» befassen, «die in der direkten Auseinandersetzung mit Computerspielen entwickelt werden».[9] Diese Forderung Freyermuths ist sicher sinnvoll, doch ist zu Bedenken, dass die Forschungen innerhalb der Game Studies sehr heterogen sind. Verschiedene Ansätze, unter anderem aus Literatur-, Film- und Kulturwissenschaft, werden verwendet.Es kann nicht pauschal unterstellt werden, alle Forschungen würden die von Freyermuth geforderten Methoden nicht berücksichtigen.

Doch wenn sich Forschende der Game Studies auf Game Design-Theorien beziehen sollten, wäre es dann nicht auch sinnvoll und wünschenswert, wenn Studien und Analysen aus den Game Studies in der Ausbildung zum/zur Game Designer/in berücksichtigt werden? Oder ist dies vielleicht bereits der Fall? Dieser Frage gehe ich nach, indem ich einen Blick auf den Studiengang Game Design der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) werfe.

Der Studiengang sieht für die Studierenden ein Pflichtseminar vor, in dem gezielt Darstellung und Gestaltung von Frauenfiguren in Video Games diskutiert werden. Dies scheint mir eine passende Schnittstelle der beiden Disziplinen zu sein, weshalb ich erkunden möchte, ob und inwiefern Theorien der Game Studies Einfluss auf das Seminar Tropes vs. Women in Video Games des Studiengangs Game Design an der ZHdK haben. Zudem untersuche ich, welchen Einfluss das Modul auf die Studierenden hat, beziehungsweise wie diese das Seminar erlebten und innerhalb ihres Studiums deuteten.

Um einen Einblick in den Studiengang Game Design an der ZHdK und insbesondere in das Modul Tropes vs. Women in Video Games und den damit verbundenen Genderdiskurs zu erhalten, befragte ich die Dozentin des Seminars sowie drei Studierende. Diese befinden sich derzeit im dritten und letzten Jahr des Studiums und haben das Modul während ihres zweiten Studienjahrs besucht. Die Gespräche mit Studierenden geben Aufschluss über die persönlichen Meinungen von Game Design-Studierenden, das heisst, zu ihrer Ausbildung sowie zu ihren Wertvorstellungen und Methoden bei der Gestaltung von Games. Über die in der Fragestellung angesprochene Verknüpfung vom Game Design und Game Studies hinaus, bietet sich durch die Interviews die Chance, subjektive Meinungen von angehenden Absolvent/innen, und somit von angehenden Angehörigen der Game-Industrie, zu erhalten. Diese individuellen Meinungen sind im Artikel daher ebenfalls von Interesse, bilden sie doch die Relevanzsysteme der angehenden Game Designer/innen ab.

Zum Studiengang Game Design an der ZHdK

Im Folgenden gehe ich auf den Studiengang Game Design, das Seminar Tropes vs. Women in Video Games sowie die Debatte um Frauenfiguren in Video Games ein, um später die Gespräche verorten zu können. Hier wird auch Bezug auf ein Interview mit der Dozentin des Seminars, Prof. Dr. Margarete Jahrmann, genommen, das Aufschluss zur Fragestellung des Moduls, zur Auswahl der theoretischen Texte sowie zum persönlichen Standpunkt Jahrmanns innerhalb der Debatte gibt.[10]

Seit 2004 wird an der ZHdK der Studiengang Game Design auf Bachelor- und Masterstufe angeboten. Das Bachelorstudium Game Design umfasst sechs, das Masterstudium drei Semester, während denen die Studierenden unter anderem in den folgenden Themenbereichen ausgebildet werden:

«Game Culture, Storytelling, Game Mechanics, Programming, Usability Design, Game Conception, Game Analysis, Game Business, Media Management, Visual Techniques, Game Engine Programming, Game Design Projects, Character Design, 3D Modeling & Animation.»[11]

Der Studiengang bietet damit eine breite Palette, die weit über die Anleitung zur Programmierung und Komposition eines Games hinausgeht. Das Curriculum wiederspiegelt die Vielseitigkeit von Spielen, die sich auf den Umgang mit dem Medium auswirkt, eine Vielseitigkeit, die sich auch in der kulturwissenschaftlichen Video Game-Definition von Mark J. P. Wolf und Bernard Perron wiederfindet, denn diese meinen: «The video game is now considered everything from the ergodic (work) to the ludic (play); as narrative, simulation, performance, remediation, and art.»[12] Game Design und Game Studies gehen hier d’accord.

Nach Angaben der ZHdK fokussiert die Ausbildung auf «Gestaltung und Kultur interaktiver Spiele» und hat die «Befähigung zur eigenständigen Entwicklung voll funktionsfähiger Spiele oder Spielprototypen» zum Ziel.[13] Diese praktische Orientierung wird durch Theoriesequenzen ergänzt. Die Studierenden haben ausserdem Zugang zu Game Lab und Game Archive, in denen nicht nur umfangreiche Forschungsliteratur, sondern auch unterschiedlichste Spiele und Konsolen zu Vermittlung und Forschung zur Verfügung gestellt werden. «Zusätzlich profitieren die Studierenden vom Forschungssetting der Fachrichtung mit Schwerpunkten wie Game Studies oder Serious & Applied Games.»[14]

Dem kulturwissenschaftlichen Umgang mit Games wird in der Ausbildung Platz eingeräumt. Im ersten Semester werden Games, nebst der Auseinandersetzung mit mechanischen und ästhetischen Aspekten wie Grafik, auch in ihrem kulturellen und gesellschaftlichen Kontext betrachtet.[15] Die Game Studies scheinen also Einfluss auf die Ausbildung zum/zur Game Designer/in zu haben. Anhand des Seminars Tropes vs. Women in Video Games möchte ich diesen nun genauer untersuchen.

Zum Seminar Tropes vs. Women in Video Games – Sensibilisierung für und Überwindung von Genderstereotypen

Beim Modul Tropes vs. Women in Video Games handelt es sich um eine Pflichtveranstaltung, die die Studierenden jeweils in ihrem vierten Semester besuchen. Sie umfasst zwölf Sitzungen à 90 Minuten. Die Dozentin des Moduls ist Prof. Dr. Margarate Jahrmann, die seit 2006 als Professorin für Game Design an der ZHdK lehrt und ausserdem als Kuratorin und Künstlerin tätig ist.

Die übergeordnete Frage zum Modul lautet: «Nach welchen Vorstellungen wird Gender in der/n Gesellschaft/en als SPIELSYSTEM gestaltet?»[16] Laut Jahrmann

«war der Ausgangspunkt für so eine Lehrveranstaltung, gesellschaftliche Systeme als Regelsysteme zu verstehen. [… M]an kann es eigentlich auch ganz konstruktivistisch sehen, das man sagt, die systemischen Voraussetzungen einer Gesellschaft sind Konventionen, die wir uns untereinander ausmachen. Und da haben wir eine grosse Parallelität eben zu den Spielanlagen […]. Regelsysteme, Games and Rules, und das Modifizieren von diesen, das Tweaken, das Verändern, und dadurch Realität mitkonstruieren, das sind Parallelitäten, die man tatsächlich aus der Design Praxis in ein Gesellschaftsverständnis übertragen kann, das dann wieder rückwirkt, auf das, wie dann auch die Artefakte gestaltet werden»[17].

Jahrmann geht es darum, den Studierenden zu vermitteln, dass diese gesellschaftlichen Regelsysteme Einfluss auf die Games haben und dass gleichzeitig mit der Gestaltung der Games und ihrer Figuren wiederum Einfluss auf die Gesellschaft genommen werden kann. Die Spiele produzieren und reproduzieren so gesellschaftlichen Sinn. Auf diesen Kreislauf sollen die Studierenden aufmerksam gemacht werden, weil sie ihn mit ihrer Arbeit als Game Designer/innen beeinflussen. Aus diesem Grund werden die Studierenden im Seminar in die Genderdebatte eingeführt, um für Gender und die Darstellung von Geschlecht in Games sensibilisiert zu werden.

Der Aufbau des Seminars variiert jedes Jahr, die Fragestellung und das Ziel der Sensibilisierung für die Genderthematik bleiben bestehen. Seit Beginn ihrer Lehrtätigkeit 2006 bietet Margarete Jahrmann ein Modul an, das sich mit Frauenfiguren und Genderstereotypen in Video Games beschäftigt. Seit 2014 baut das Seminar grösstenteils auf Anita Sarkeesians aufsehenerregender Videoserie auf, weshalb diese nun kurz nachgezeichnet wird.

Anita Sarkeesian begann 2012 auf der Plattform Kickstarter Geld für eine Videoreihe zu sammeln, die «Geschlechterstereotype in der Videospielgeschichte offenlegen sollte»[18]. Darauf brach ein riesiger ‹Shitstorm› aus, wobei Sarkeesian beschimpft, verunglimpft und bedroht wurde.[19] Gleichzeitig fand sie grossen Zuspruch, sodass ihr Projekt mit über 150’000 US-Dollar unterstützt wurde, obwohl sie nur um 6’000 US-Dollar gebeten hatte.[20] Die entstandene Videoreihe Tropes vs. Women in Video Games ist bis heute nicht abgeschlossen: Sarkeesian veröffentlicht weiterhin regelmässig Videos auf YouTube sowie auf ihrer Website feminist frequency.[21] Sarkeesian gelang es, mit ihren Videos neuen Wind in die Debatte um Frauen in Video Games zu bringen. So zeigt sie in ihren Videos unterschiedliche Tropen von weiblichen Figuren in Video Games auf, die meist passiv und teilweise übersexualisiert dargestellt sind.

Die Videos beflügelten die seit Jahren anhaltende Debatte um Frauenfiguren in Video Games, wie Matteo Riatti schreibt:

«Die Spielebranche muss sich dem Vorwurf des Sexismus stellen. So hat Sarkeesian aufgezeigt, dass Videospielwelten eine Tendenz haben, frauenfeindliche Umgebungen, konservative Rollenbilder und Objektivierung weiblicher Figuren zu reproduzieren. […] Sarkeesians Plattform, feminist frenquency, ist wortführend für die weibliche Position in einem Diskurs, der den Anschein erweckt, ein Tabu gebrochen zu haben.»[22]

Jahrmann ist der Meinung, dass Sarkeesian das Thema fundiert aufarbeitet, weshalb sie nicht nur den Titel der Videoserie für das Seminar übernahm, sondern ausgewählte Videos im Seminar abspielte, um so ins Thema einzuführen.

Ausserdem wird im ersten Teil des Seminars mit Donna Haraways A Cyborg Manifesto von 1991 gearbeitet. Darin versucht Haraway einen «ironic political myth faithful to feminism, socialism, and materialism»[23] zu entwickeln. Dabei geht es um die Figur der Cyborg als «cybernetic organism, a hybrid of machine and organism»[24], die von Haraway als Denkfigur etabliert wird. Die Cyborg bietet eine Chance, gesellschaftliche Grenzen (wie die Grenze zwischen den Geschlechtern, die Grenze zwischen Tier und Mensch oder die Grenze Organismus und Maschine) zu reflektieren. Haraway stellt sich eine Welt ohne Limitationen durch Gender vor. Eine Welt, in der alles verhandelbar ist.[25] Sie kritisiert nicht nur gewisse Dualismen der westlichen Tradition, wie männlich/weiblich, Selbst/Andere und Kultur/Natur, sie kritisiert auch den traditionellen Feminismus, weil er diese Dualismen weiterträgt.[26] Die Überwindung solcher Binaritäten ist mit der Cyborg-Metaphorik möglich, weshalb sich der Text als Lektüre zur Gender-Sensibilisierung im Seminar anbietet. Jahrmann begründet die Auswahl des Textes noch weiter:

«Weil ich bewusst einen älteren Text [wählte], er ist im Verhältnis ja schon relativ früh formuliert worden, ausgehend von Entwicklungen, technologischen Entwicklungen der 80er. Es war mir wichtig, einen Text zu nehmen, der allgemeiner auf die Technokultur, Technophilosophie, ausblickend auch auf eine Modifikation der Körper, dann über Technologien, [eingeht]. […] Damit man eben sieht, man ist da in einem breiteren Kontext der Technowissenschaften verortet.»[27]

Die Dozentin möchte damit auch den Körperdiskurs aufgreifen, der innerhalb der Genderdiskussion eine wichtige Rolle spielt. Diesen verbindet sie mit feministischen Künstlerinnen, die den Körper als Spiel- und Kunstmaterial verwenden, wie Valie Export oder Orlan. Ein weiterer Grund für die Verwendung von A Cyborg Manifesto sei ausserdem die Präsenz von weiblichen Cyborgs in Video Games. Mit diesem Text wollte Jahrmann einen «spezifischen Genderdiskurs, der sich mit den Technologien auseinandersetzt, als Ausgangspunkt nehmen»[28]. Jahrmann wählte also bewusst einen interdisziplinären ‹Gender-Klassiker› für das Game Design-Pflichtseminar.

Nachdem im ersten Teil des Seminars mit Hilfe der Videos von Sarkeesian und dem Text von Haraway eine theoretische Grundlage geschaffen wurde, untersuchten die Studierenden ein selbstgewähltes Spiel und analysierten die darin vorkommende weibliche Figur.[29] Zusätzlich zur Analyse entwarfen die Studierenden ein Gegenmodell der Figur, in dem diese fern von Stereotypen und Sexualisierung umzusetzen war und somit der angesprochene Kreislauf überwunden werden sollte. Neben diesen Neuinterpretationen sollte auch nach aktuellen Beispielen gesucht werden, in denen weibliche Figuren, entgegen gängiger Stereotype, dargestellt werden. Dieses Projekt stellten die Studierenden den anderen Teilnehmer/innen des Seminars im letzten Teil vor.[30]

Ehe ich mich der Untersuchung der Interviews widme, möchte ich festhalten, dass im Seminar nicht mit Texten der Game Studies gearbeitet wird. Doch besteht der Versuch, eine sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektive auf Videospiele einzunehmen, um gesellschaftliche Konventionen und ihre Auswirkungen auf Games zu untersuchen. Die nun folgende Untersuchung der Interviews gibt Aufschluss darüber, wie die befragten Studierenden damit umgingen.

Studierendenperspektive – Im Gespräch mit Bashful, Shadow und Speedy

An dieser Stelle werden die Interviews mit den Studierenden analysiert, mit dem Ziel, einerseits die Möglichkeiten einer Interaktion der beiden Disziplinen herauszuarbeiten und andererseits Einblick in die subjektiven Meinungen und Wertvorstellungen der Studierenden zu erhalten. Zur Beantwortung dieser Fragestellung führte ich qualitative Einzelinterviews[31] mit drei Game Design-Studierenden der ZHdK, die das Seminar 2016 besuchten. Ich verwende im Folgenden Pseudonyme für die Studierenden, drei genderneutrale ‹Gespenster› aus dem beliebten Arcade-Game Pac Man: Shadow für die Person aus dem ersten Interview, Speedy für die aus dem zweiten und Bashful für die aus dem dritten Interview. Dementsprechend wird bei Pronomen und Artikeln immer die sächliche Bezeichnung gewählt (das Gespenst). Dadurch wird einerseits eine volle Anonymität auch bezüglich des Geschlechtes der befragten Personen gewährleistet, andererseits wird so das Genderthema des Moduls aufgenommen.

In den Interviews mit den Studierenden wurden drei Hauptthemen behandelt, auf die jeweils mit verschiedenen Fragen eingegangen wurde. Der erste Fragenkomplex drehte sich um das Seminar Tropes vs. Women in Video Games. Ziel war es zu erfahren, wie die interviewten Teilnehmer/innen das Modul, die Thematik, den Leistungsnachweis erlebten und ob – und falls ja, wie – sich ihre Perspektive veränderte. Der zweite Fragenkomplex drehte sich allgemeiner um die Debatte über die Darstellung von Frauen in Video Games. Hier sollte in Erfahrung gebracht werden, wie die befragten Teilnehmer/innen zur Debatte stehen und welchen Stellenwert sie dieser innerhalb des Studiums Game Design zuschreiben. Schliesslich sprachen wir über die Interaktion zwischen Game Design und Game Studies, um herauszufinden, ob die angehenden Game Designer/innen einen Austausch zwischen den Disziplinen für erstrebenswert halten. Auf diese drei Bereiche wird nun im Folgenden einzeln eingegangen.

«Und wenn ihr in Zukunft einen weiblichen Charakter macht,
dann macht es richtig»

Allen Studierenden war der zweite Teil des Moduls, in dem die Teilnehmer/innen ihre Projekte präsentierten und darüber diskutierten, stärker in Erinnerung geblieben, als die theoretische Auseinandersetzung zu Beginn des Seminars. Interessanterweise nahmen die Befragten im Gespräch auf die Projekte der anderen Befragten Bezug, ohne zu wissen, dass ich ebenfalls mit diesen gesprochen hatte oder sprechen würde.

Die Studierenden begrüssten die Art und Weise, wie im Seminar diskutiert wurde. Während der Umgangston im Internet zu dieser Debatte meist harsch und aggressiv war und ist, blieb die Diskussion im Seminar immer produktiv, auch wenn unterschiedliche Meinungen aufeinandertrafen. So berichtete Shadow: «Ich war letzten Endes froh, wie gutmütig die Leute einander gegenüber sind, gerade innerhalb der Szene. Wir haben uns nicht aufs Dach gegeben, die ganze Diskussion lief friedlich ab.»[32] Dieser Ansicht war auch Speedy, weil es feststellen konnte, dass man auf produktive Art über dieses Thema diskutieren konnte, im Gegensatz zur Umgangsform im Internet: «[Ich merkte] ja, klar kannst du mit Leuten darüber reden, vor allem mit den Leuten in unserer Klasse, die sind voll offen dafür.»[33] Und auch Bashful empfand das Gesprächsklima als angenehm, es hatte nie das Gefühl, dass die Mitstudierenden «in einer Phase waren, in der es dieses ‹Shitstormmässige› gegeben hat, sondern in einer Diskussion»[34]. Wie Bashful allerdings zutreffend bemerkte, ist es doch etwas anderes, ob man sich gegenübersitzt oder ob man – mehr oder weniger anonym – im Internet Kommentare verbreitet.

Da ihnen die Projekte besonders in Erinnerung geblieben waren, bat ich die Studierenden, mir von ihrem eigenen Projekt zu berichten. Shadow trotzte der Aufgabenstellung des Seminars etwas, indem es sich dafür entschied, keine weibliche Figur umzugestalten, sondern Super Mario in ein neues Setting zu setzen.

Abb. 1: Mario (New Super Mario Bros. 2009)

Mario ist die wohl bekannteste Videospielfigur der Welt, die in einigen Spielen der Reihe die entführte Prinzessin Peach retten muss. Shadows Anliegen war es nun, darauf aufmerksam zu machen, dass nicht nur bei Frauenfiguren mit Stereotypen gearbeitet werde:

«Und gleichzeitig gibt es die gleichen Muster auch für Männer. Männer werden häufig in Situationen hineingestellt, die eigentlich komplett unrealistisch sind für sie, unrealistisch, dass sie da jemals herauskommen. Und es wird irgendwie dargestellt, dass sie sowieso fähig sind, dies zu tun, weil das von ihnen verlangt wird. […] Oder sie bringen sich selbst in Situationen, in denen sie viel zu sehr gefährdet werden, ohne dass es irgendeinen Sinn machen würde.»[35]

Shadow zeigte in seiner Präsentation drei mögliche Varianten auf, wie ein Spiel um Mario noch gestaltet werden könnte: Man könnte, erstens, seine Klischees verstärken und noch stärker betonen, dass Marios Wert darin liegt, Prinzessin Peach zu retten. Man könnte zweitens, seine Rolle umkehren, indem er keinen Rettungsversuch unternimmt, sich ins Schloss zurückzieht und sich dort gegen mögliche Feinde verteidigt. Und schliesslich könnte Mario nach einer erfolglosen Rettung seine Mission aufgeben und sich einer anderen Beschäftigung widmen, wie bspw. dem Betreiben einer Pilzplantage. Auch wenn Mario als rundlicher Klempner nicht einem unerreichbaren männlichen Stereotyp entspricht, würde Shadow dennoch argumentieren, dass mit dem weiblichen Stereotyp der ‹Damsel in Distress›[36] ein männlicher Stereotyp des aufopfernden Helden verbunden ist. Dieser ist zwar im Gegensatz zur Damsel in Distress nicht negativ konnotiert, sollte aber nach Shadow ebenfalls aufgebrochen werden, damit neue und spannendere männliche Charaktere entstehen können. Die Reaktionen auf seine Präsentation empfand Shadow als überraschend positiv, auch seitens der Dozentin. Hier zeigt sich dieses Bedürfnis gewisser Studierenden, nicht nur weibliche Stereotype in Games zu hinterfragen, was Jahrmann in der aktuellen Durchführung des Seminars stärker berücksichtigt.

Während es Shadow wichtig war, auch männliche Stereotype in die Diskussion aufzunehmen, stellte Speedy in seinem Projekt zunächst ein positives Beispiel einer weiblichen Figur in einem Game vor: das Mädchen Clementine aus The Walking Dead. Dieses serielle Video Game, die erste Staffel erschien 2012, basiert auf der gleichnamigen Comic Book- und TV-Serie und spielt in einer fiktionalen, dystopischen Welt einer Zombie-Apokalypse. Die achtjährige Clementine wird von Lee Everett (dem spielbaren Charakter) gefunden, der ihr verspricht, mit ihr nach ihren Eltern zu suchen.

Im dritten Teil des Games, das 2016/2017 erschienen ist, ist Clementine nun eine von zwei spielbaren Charakteren.[37]

Speedy untersuchte in den ersten beiden Staffeln des Spiels die Entwicklung Clementines und welche Beziehung man als Spieler/in zu ihr aufbaut. Es stellte fest, dass sie sehr ernst genommen wurde, wie alle Figuren des Spiels, und sie eine ‹toughe› Figur war. Man baue als Spieler/in eine emotionale Bindung zu ihr auf, weil sie den eigenen Beschützerinstinkt wecke, und man sich für sie verantwortlich fühle. So liegt es bspw. an der spielenden Person zu entscheiden, ob man dem Mädchen das Schiessen beibringen sollte.[38]

Abb. 2: Lee bringt Clementine das Schiessen bei (The Walking Dead 2012)

Diesen Beschützerinstinkt, den man nach Speedy bewusst habe wecken wollen, wird durch das Kind, unabhängig vom Geschlecht, ausgelöst: «Man hat auch gemerkt, es hätte keinen Unterschied gemacht, wenn es ein Sohn gewesen wäre.»[39] Clementine musste deshalb auch nicht mit weiblichen Stereotypen ausgestattet werden, sondern konnte als starke weibliche Figur auftreten. Hier stellte Speedy die These auf, dass die Gamer-Generation erwachsen geworden und nun in der Industrie tätig sei, was Auswirkungen auf die Charaktere hätte: «Von der früheren Jugendliebe ist es jetzt halt zur Tochterfigur gewandert. Daher hat man jetzt mehr solche Tochterfiguren, zu denen man eine Beziehung aufbaut.»[40]

Dieser Gedanke Speedys ist bemerkenswert und scheint schlüssig. Zu Bedenken ist allerdings, dass weiterhin ein Grossteil der weiblichen Figuren in Games noch immer nach den alten Mustern werden. Zudem zielt das Spiel nicht ‹nur› auf ein männliches Publikum ab, weshalb der Umgang mit (weiblichen) Stereotypen möglicherweise bedachter ist.

Anstelle dieser Figur gestaltete Speedy Prinzessin Peach, als negatives Beispiel einer Frauenfigur, um. Sie wurde in Hosen gesteckt und ihre Rolle als Regentin betont, indem sie im Spiel mit ihrer Armee in die Schlacht zieht. Dieses fiktionale Spiel erhielt dann den Namen Mushroom Wars. In dieser Neuinterpretation wird Prinzessin Peach also nicht nur in eine aktive Rolle versetzt und damit vom Trope der Damsel in Distress befreit, sondern es wird auch das stereotype Bild einer Prinzessin gebrochen, indem die Prinzessin als Befehlshaberin einer Armee in den Kampf zieht. Gleichzeitig gelingt das von Haraway geforderte Aufbrechen der binären Geschlechterordnung allerdings nicht, wie die Abbildung von Speedys Redesigns verdeutlicht.

Abb. 3: Redesign von Prinzessin Peach für ihr eigenes Spiel von Speedy (2016)

Das Projekt von Bashful drehte sich um die Game-Reihe Sly Cooper. Das Spiel handelt von einer Gruppe von Dieben, angeführt vom titelgebenden Waschbären Sly Cooper. Bashful ging es in erster Linie darum, die Entwicklung der weiblichen Figur, Polizistin Carmelita Fox, in den vier bisherigen Teilen des Spiels aufzuzeigen. Während die ersten drei Teile 2002, 2004 und 2005 von Sucker Punch Productions produziert wurden, stammte der 2013 produzierte Teil von Sanzaru Games.[41]

In der Untersuchung der Figur konnte Bashful eine Entwicklung innerhalb der ersten drei Versionen ausmachen, wobei die Figur zunehmend ‹positiv› und immer aktiver dargestellt wurde. So musste sie zwar aus gewissen Situationen gerettet werden, sie rettete aber auch ihr männliches Gegenüber mehrmals. Auch Bashful zeigte ein Beispiel einer weiblichen Figur auf, die ihre limitierenden Genderketten mehrheitlich ablegen konnte. Damit verbunden sei auch ein Entwicklerstudio, das sich seiner Rolle als Bedeutungsproduzent im Netz der Kultur bewusst ist. Im vierten Teil allerdings sei sie vom neuen Produktionsstudio wieder in eine passivere Rolle versetzt worden, was ihren Charakter auch weniger interessant gemacht habe.

Auch für die Beziehung zwischen Carmelita und dem titelgebenden, männlichen Charakter Sly Cooper interessierte sich Bashful. Es vertrat die Meinung, dass die Beziehung zwischen dem Dieb und der Polizistin sehr typisch für dieses ‹Dieb vs. Polizistin-Setting› sei, nicht nur in Games, sondern auch in Fernsehserien. Daher versuchte Bashful, die settingspezifischen Stereotype nicht in die Analyse miteinzubeziehen, weil die Story des Games darauf aufbaute. Während Speedy bemüht ist, für die Umgestaltung von Prinzessin Peach sämtliche Stereotype aufzubrechen, bleibt bei Bashful die weibliche Figur als Love Interest des männlichen Helden bestehen. Die Liebesgeschichte und das Katz-und-Maus-Spiel zwischen den beiden gehören zur Story des Spiels und sind dadurch gerechtfertigt.

Neben der Figurenentwicklung drehte sich die Präsentation auch um die Analyse einer Szene aus dem vierten Teil, in der Carmelita zur Ablenkung von Wachen einen Bauchtanz aufführen muss. Die Figur teilte innerhalb der Szene immer wieder ihr Missfallen über die Situation und ihr Bauchtanz-Outfit mit, in dem sie sich unwohl fühlte. Zu dieser Beobachtung äusserte sich Bashful folgendermassen:

«Und dort merkst du dann, dass sie als Charakter das gar nicht wollte und sich in diesen Kleidern extrem unwohl fühlt, was sehr absurd rüberkam, weil sie sich sonst gerade so knapp angezogen hatte, wie dort, wo sie dann als Bauchtänzerin auftrat, und sie sich dann die ganze Zeit unwohl fühlte.»[42]

Abb. 4: Carmelita Fox in ihrer Uniform (Sly Cooper – Thieves in Time 2013)

Abb. 5: Carmelita Fox in ihrem Bauchtanzkostüm (Sly Cooper-Thieves in Time 2013)

Es sind solche Widersprüche, (hier liegt sogar ein doppelter Widerspruch vor, weil die visuelle Darstellung der Figur nicht nur mit ihrem Charakter nicht übereinstimmt, sondern weil die Figur ihre Erscheinung mal als sexualisiert empfindet, mal nicht) die sich negativ auf die Story der Games auswirken. Die Figur thematisiert ihre eigene Darstellung, wodurch der/die Spieler/in zwangsläufig über die Darstellung Carmelitas nachdenkt.

Sexualisierung wird dadurch nicht per se abgelehnt, stattdessen rückt das Empfinden der Figur in den Vordergrund.

Damit die Figur in der Szene tanzt, muss der/die Spieler/in entsprechende Befehle über den Controller geben. Diese bestehen einerseits aus dem Drücken von Knöpfen, andererseits muss der Controller immer wieder geschüttelt werden, worauf die Figur ihren Hintern dementsprechend schüttelt. Ebenfalls interessant sei die Kameraführung in diesem Moment, da sie dann völlig auf ihre Hüften fokussiert sei.

Abb. 6: Carmelita beim Bauchtanz (Sly Cooper – Thieves in Time 2013)

Gleichzeitig seien in der Szene auch die männlichen Figuren, die Wachen, insofern negativ dargestellt worden, als sie dem Tanz johlend und mit offenen Mündern zuschauten. Die Tatsache, dass sämtliche Figuren lächerlich dargestellt wurden, führte im Anschluss an die Präsentation zur Frage, ob die Szene nicht einfach humorvoll intendiert war. Bashful teilte diese Meinung allerdings nicht.

Die Tatsache, dass über die Intention dieser Szene diskutiert wurde, gibt Aufschluss über Meinungen, die sich von jenen der befragten Studierenden unterscheiden. Die Szene wurde von manchen offenbar als humorvoll und ironisch interpretiert, wodurch sie eine Berechtigung für das Vorkommen im Spiel erlangt. Gleichzeitig könnte die Erklärung, dass humorvoll intendierte Szenen eine Berechtigung haben, auch für diejenigen als Ausweg angesehen werden, die sich nicht zu viele Gedanken über diese Thematik machen wollen. Speedy und Bashful, die sich beide im Interview zur Szene äusserten, waren sich aber einig, dass diese Szene – auch wenn sie bewusst überspitzt gestaltet wurde – fehl am Platz sei: «Es hat nichts mit den Figuren zu tun, nichts mit der Geschichte, und nichts mit der Game Erfahrung.»[43] Erneut zeigt sich hier die Tendenz der Befragten, die Story des Games als erste Instanz für die Authentizität der Figuren zu sehen.

Ich konnte anhand der Projekte der befragten Studierenden eine ähnliche Grundeinstellung ausmachen. Bei Shadows Neuinterpretation von Mario wurde die Meinung vertreten, dass allgemein traditionelle und stereotype Rollen, sowohl von Frauen als auch von Männern, überwunden werden sollten. Ähnlich plädierte Speedy für Rollen, die nicht dem ‹alten› Muster entsprechen, zeigte allerdings gleichzeitig auf, dass es bereits Beispiele solcher ‹positiv› und ernsthaft gestalteter Frauenfiguren gebe. Schliesslich verdeutlichte Bashful mit seinem Projekt die Irritation, die entsteht, wenn das Design einer Figur nicht mit ihrem Charakter übereinstimmt oder wenn sich eine Figur selbst in ihrem Auftreten und ihrem Verhalten nicht wohl fühlt. Alle Befragten stimmten darin überein, dass es glaubwürdigere Figuren in Games brauchen würde, die auf die Story abgestimmt sein müssen.

Trotz intensiver Arbeit an ihren Projekten, kritisierten die befragten Studierenden, dass sie kaum Erkenntnisse aus dem Seminar gewonnen hätten, die für ihre weitere Beschäftigung mit Games nützlich wären. Weil sie sich bereits vorher mit der Genderdebatte und besonders mit der Debatte rund um die Videos von Sarkeesian auseinandergesetzt hätten, hatten sie eine vorgefestigte Meinung, die im Verlauf des Seminars nicht verändert wurde. Diese ernüchternde Einschätzung der Studierenden über die Wirkungskraft des Seminars wollte ich weiter betrachten, weshalb ich die Studierenden nach ihrer Ansicht des Stellenwerts der Debatte innerhalb des Game Design-Studiums befragte. Auch wenn die Studierenden der Meinung sind, kaum Erkenntnisse aus dem Seminar gewonnen zu haben, scheint das Seminar seinen Zweck erfüllt zu haben. Denn die Studierenden diskutierten auch ausserhalb des Seminars weiter über das Thema und die Beispiele sind ihnen offenbar in Erinnerung geblieben.

«Aber die Diskussion wird sicher auch in drei Jahren noch aktuell sein»

Obwohl die Studierenden nach eigenen Aussagen kaum persönliche Erkenntnisse aus dem Seminar mitnehmen konnten, plädieren alle für die Thematisierung der Darstellung von Frauenfiguren im Studiengang Game Design. So hielt Shadow die Diskussion um Frauenfiguren in Video Games generell, und auch innerhalb des Curriculums, für zwingend notwendig:

«Denn diese Fragen existieren und wenn ich komplett von der Welt entfernt bin und nicht weiss, was den Spielern wichtig ist oder welche Fragen sie an ein Spiel haben oder welche Fragen die Gesellschaft an ein Spiel hat, dann kann ich auch kein Spiel machen für diese Gesellschaft.»[44]

Als Designer/in müsse man sich mit Fragen und Forderungen der Gesellschaft und somit dem Zielpublikum auseinandersetzen. Die befragten Studierenden waren alle der Meinung, dass die Auseinandersetzung mit der Debatte im Rahmen des Seminars ausreichend sei und diese innerhalb des Studiums nicht noch mehr Raum einnehmen müsse, wie  Speedy formulierte: «Ich glaube, im Studium müsste man nicht weiter darauf eingehen. Das Modul hat gereicht, um einen Denkanstoss zu geben und diejenigen, die weiterdiskutieren wollen, können das ja.»[45] Diesen Denkanstoss formulierte Bashful noch weiter aus:

«Und doch fand ich, dass dieses Modul eigentlich das grösste Potenzial hatte, um darüber zu diskutieren und zu schauen, was das Thema alles genau beinhaltet. Und ich denke, häufig werden Meinungen in solchen Modulen nicht stark geändert, aber ich denke, es reicht schon, sobald man den Schritt gemacht hat, das überhaupt zu diskutieren, das ist der wichtigste Schritt. […] Denn man sollte es mal diskutiert haben, auch wenn die Leute noch der gleichen Meinung sind, aber dann hat man sich mal Gedanken darübergemacht. Denn ich glaube, dass ist das grösste Problem, dass man sich die Gedanken einfach gar nicht macht oder diese Fragen gar nicht stellt. Und sobald man diese Fragen mal gestellt hat, trifft man bewusster Entscheidungen. Und trifft diese nicht nur so heraus, wie man sozialisiert wurde.»[46]

Dieses Zitat enthält gleich zwei wichtige Aussagen: Zunächst wird die Wirkkraft des Seminars wieder gestärkt, indem dessen Tragweite betont wird. Dann nimmt Bashful hier auch Bezug auf Medienerzeugnisse als Produkte von gesellschaftlichen Normen bzw. Konventionen, wie von Jahrmann formuliert wurde. Implizit geht Bashful damit auch auf die Möglichkeiten der Produzent/innen und Designer/innen ein, durch einen reflektierten Gebrauch von Charakteren mit diesen Konventionen zu brechen. Die Sensibilisierung für diese Gestaltungsmacht ist das Ziel des Seminars.

Auch Eric Zimmerman machte immer wieder auf die Bedeutung der Game Designer/innen innerhalb des «ludischen Jahrhunderts» aufmerksam: «And if games are spaces where meaning is made, game designers are the meta-creators of meaning, those who architect the spaces of possibility where such discovery takes place.»[47] Game Designer/innen können mit der Gestaltung ihrer Spiele neue Muster für gesellschaftliche Konventionen kreieren. Ihrer Gestaltungsmacht und somit ihrem möglichen Einfluss auf die Gesellschaft scheinen sich die befragten Studierenden bewusst zu sein.

Die Wichtigkeit der Debatte um Frauenfiguren in Video Games schien für alle Studierenden nachvollziehbar zu sein, weshalb ich ermitteln wollte, ob sie sich auch für andere Bereiche der Game Studies bzw. für kulturwissenschaftliche Fragen interessierten und ob sie einen Einfluss der Game Studies auf den Studiengang Game Design förderlich fänden.

«Weil dann gamest du nicht, dann analysierst du»[48]

Die Befragten reagierten auf die erste Frage um den vermehrten Austausch zwischen den Disziplinen sehr unterschiedlich. Im Verlauf der Gespräche stellte sich allerdings heraus, dass die Studierenden eine Meinung teilen, die sich mit der von Freyermuth ausgemachten Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis vereinbaren lässt.

Shadow zeigte sich gegenüber den Game Studies sehr interessiert und äusserte zugleich Wunsch-Themen, über die es gern mehr erfahren wollte. So bspw. die Frage «wie die Leute ihre Identität im Internet aufbauen und wie sie sich selbst sehen»[49]. Aber das Curriculum habe nicht die Kapazität für solche Themen, zumal das Studium darauf ausgelegt sei, die Werkzeuge bereitzustellen, um Games zu gestalten. Diesen Gedanken führte Speedy weiter aus. Es ist der Meinung, dass Studien und Game Analysen von Vertreter/innen der Game Studies für Game Design-Studierende wohl nur von kleinem Nutzen wären. Denn Game Analysen würden die Studierenden ohnehin ständig unbewusst machen, allerdings mit Fokus auf die Umsetzung. Wenn man sich als Game Designer/in mit Games beschäftige, frage man sich immer, wie und warum gewisse Elemente gemacht werden:

«Oft will man gleich wissen, wie kann ich das direkt umsetzen, anstatt nur anzuschauen, wie ist das gebraucht worden. Vielleicht ist Game Studies für Leute die Games machen wie zu kurz, weil sie halt vor der Umsetzung stoppen und nicht dorthin gehen.»[50]

Es fehle also der Schritt von der Theorie zur künstlerischen Umsetzung. Auch Bashful sprach sich nicht dafür aus, innerhalb des Studiums Texte der Game Studies zu lesen. Vielleicht wäre es aber möglich, dass die Dozierenden, die sicherlich einige Texte kennen, diese mündlich in Diskussionen einbringen würden. Gerade im Seminar Tropes vs. Women in Video Games habe dies den Diskussionen eine wünschenswerte Tiefe gegeben. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich die Studierenden durchaus mit Themen der Game Studies auseinandersetzten, allerdings kaum im Unterricht, sondern in privaten Diskussionen.

«Wir sind eigentlich alle relativ tief in Game Studies drin»

Dieser Artikel verfolgte zwei Ziele: Einerseits sollte untersucht werden, ob und inwiefern ein Einfluss der Game Studies in den Studiengang Game Design der Zürcher Hochschule der Künste erkennbar ist. Andererseits sollte in diesem Artikel mit Hilfe der Interviews, Einblick in ebendiesen Studiengang und somit in die Meinungen angehender Game Designer/innen geboten werden.

Der beabsichtigte Einblick in Arbeit und Gedankengut von Game Design-Studierenden konnte insbesondere durch die Ausführungen zu den Projekten, mit denen sich die Studierenden im Verlauf des Moduls beschäftigten, gewonnen werden. Die drei Projekte unterscheiden sich voneinander und in jedem Projekt ist die jeweilige Ansicht des Studierenden zum Genderdiskurs spürbar. Die drei Studierenden sprachen sich alle für einen durchdachten und der Story entsprechenden Umgang mit (weiblichen) Figuren in Video Games aus.

Im Seminar Tropes vs. Women in Video Games wurde den Studierenden als theoretischer Hintergrund für die Debatte zwar keine Forschung aus den Game Studies geboten, sondern ein feministisches Manifest aus den 1980er-Jahren, das in eine über Games hinausgehende Thematik von Gender einführt. Gleichwohl wurde im Seminar teilweise eine kulturwissenschaftliche Perspektive eingenommen. So sind auch Analysen von einzelnen Figuren Gegenstand der Game Studies.

Ob die zukünftige Zusammenarbeit von Game Studies und Game Design enger ausfallen wird, bleibt zwar ungewiss, doch in Anbetracht der Meinungen angehender Game Designer/innen nicht unvorstellbar:

«Wir wollen ja primär als Game Designer ausgebildet werden. Aber es ist nicht nur das Handwerk, das wir lernen, sondern es ist auch quasi unser Weltbild, das erarbeitet werden soll: Was wollen wir überhaupt ausdrücken mit unseren Spielen? Ich meine, wir lernen im Grunde genommen, auf eine gewisse Art, ein Handwerk, aber auch eine Kunst. Und als Künstler hast du immer eine Botschaft, eine Art Weltbild, das du rüberbringen willst. […] Und von daher ist jeder von uns daran interessiert, im Privaten diese Dinge anzuschauen. Wir sind eigentlich alle relativ tief in Game Studies drin.»[51]

Dieses Zitat verdeutlicht einerseits, dass die von Jahrmann angestrebte Sensibilisierung für den Einfluss, den Game Designer/innen auf die Geschlechterkonventionen unserer Gesellschaft haben, zu den Studierenden durchgedrungen ist. Sie sind sich ihrer Rolle, und somit auch ihrer Verantwortung als Game Designer/innen, bewusst. Hoffen wir also, dass sie in ihrer zukünftigen Arbeit in der Branche mit gesellschaftlichen Konventionen brechen werden.

Andererseits zeigt das Zitat auch, dass die Studierenden durchaus Interesse für den Bereich der Game Studies haben. Doch gehen sie diesem im Privaten nicht alle gleich stark nach. Zwangsläufig befassen sie sich im Verlauf des Studiums mit Themen der Game Studies, die teilweise auch im Curriculum verankert sind, wobei allerdings immer die praktische Umsetzung im Fokus steht.

In den Interviews wurde die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis, die Freyermuth als ein Schisma der Game Studies bezeichnet, angesprochen. Die befragten Personen teilten die Ansicht Freyermuths, dass die Forschungen aus den Game Studies ohne Bezug auf die praktische, künstlerische Umsetzung für Studierende des Game Designs unzureichend und somit wenig brauchbar seien.

Mit seiner Forderung, dass theoretische Arbeiten der Game Studies die Perspektive der künstlerischen Produktion miteinbeziehen müssten, steht Freyermuth nicht alleine da. So postuliert auch Zimmerman «mehr und mehr wie ein Game Designer zu denken», wenn wir uns in ein Spiel vertiefen: «[A]lso zu basteln, zu manipulieren und zu modifizieren um neue Spielmöglichkeiten zu entdecken»[52]. Letztlich bedingt dies eine weitere Forderung an alle, die sich akademisch mit Games befassen wollen: selbst zu spielen!

 

Quellenverzeichnis

Interviews

  • Pseudonym Shadow, Interview 1 vom 02.02.2017 in Zürich.
  • Pseudonym Speedy, Interview 2 vom 14.02.2017 in Zürich.
  • Pseudonym Bashful, Interview 3 vom 14.02.2017 in Zürich.
  • Prof. Dr. Margarete Jahrmann, Interview 4 vom 14.03.2017 in Zürich.

Sekundärliteratur

  • Beil, Benjamin: Game Studies. Eine Einführung. Berlin: Lit, 2013.
  • Freyermuth, Gundolf S.: Game Studies und Game Design. In: Klaus Sachs-Hombach und Jan-Noël Thon (Hg.): Game Studies. Aktuelle Ansätze der Computerspielforschung. Köln: Herbert von Halem Verlag, 2015, 70–103.
  • Haraway, Donna: A Cyborg Manifesto Science, Technology, and Socialist-Feminism in the Late Twentieth Century, In: Simians, Cyborgs and Women: The Reinvention of Nature. New York: Routledge, 1991, S.149–181 (http://www.medientheorie.com/doc/haraway_manifesto.pdf, abgerufen: 19.02.2017).
  • Riatti, Matteo: Frauen vor und auf dem Bildschirm. Zum Genderdiskurs in den Videospielwelten. In: Martin Henning und Hans Krah (Hg.): Spielzeichen. Theorien, Analysen und Kontexte des zeitgenössischen Computerspiels. Glückstadt: Verlag Werner Hülsbusch, 2016, 347–366.
  • Sachs-Hornbach, Klaus/ Thon, Jan-Noël: Einleitung. Game Studies und Medienwissenschaft. In: Klaus Sachs-Hornbach, Klaus/ Jan-Noël Thon (Hg.): Game Studies. Aktuelle Ansätze der Computerspielforschung. Köln: Herbert von Halem Verlag, 2015, 9–27.
  • Schmidt-Lauber, Brigitta: Das qualitative Interview oder: Die Kunst des Reden-Lassens. In: Silke Göttsch und Albrecht Lehmann (Hg.): Methoden der Volkskunde. Positionen, Quellen, Arbeitsweisen der Europäischen Ethnologie. Berlin: Reimer, 2001, überarbeitete und erweiterte Auflage 2007, 196–188.
  • Zimmerman, Eric: Forword, In: Fullerton, Tracy/ Swain, Christopher: Game Design Workshop. A Playcentric Approach to Creating Innovative Games. Amsterdam: Morgan Kaufmann, 2008 (http://ericzimmerman.com/files/texts/GDW_forward.pdf, abgerufen 19.03.2017).
  • Zimmerman, Eric: Forword, In: Garfield, Richard/ Gutschera, Karl Robert/ Skaff Elias, George: Characteristics of Games. Cambridge: MIT Press, 2012 (http://ericzimmerman.com/files/texts/Characteristics_of_Games_foreword.pdf, abgerufen 19.03.2017).
  • Zimmerman, Eric: Manifest für ein ludisches Jahrhundert. In: Benjamin Beil/ Gundolf S. Freyermuth, Lisa Gotto (Hg.): New Game Plus: Perspektiven der Game Studies: Genres – Künste – Diskurse (Vol. Band 3, Bild und Bit). Bielefeld: Transkript, 2015, S. 19–24.

 

Internetquellen

Abbildungsverzeichnis

 

[1] Zimmerman 2012, 1.

 

[2] Zimmerman 2015, 20.

 

[3] Vgl. Beil 2013, 1. Diese Vielfalt zeigt sich idealtypisch in diesem Band, in dem der Bogen von Arcade-Spielautomaten, über die Multidimensionalität der Räume bis zu Sinn und Sinnhaftigkeit von Fehlern im Spiel gespannt wird.

 

[4] Freyermuth 2016, 70.

 

[5] Ebd., 96.

 

[6] Vgl. ebd., 96–98.

 

[7] Vgl. ebd.

 

[8] Ebd., 96.

 

[9] Ebd., 73.

 

[10] Das Interview führte ich mit ihr am 14.03.2017 in Zürich, nachdem ich die ersten beiden Sitzungen des Seminars besucht hatte, das im Frühlingssemester 2017 erneut durchgeführt wurde.

 

[11] ZHdK b 2017.

 

[12] Wolf und Perron 2003 zit. nach Sachs-Hornbach und Thon 2015, 11-12ƒ.

 

[13] ZHdK a 2016/2017, 28.

 

[14] Ebd.

 

[15] Vgl. ebd., 30.

 

[16] ZHdK c 2017.

 

[17] Jahrmann 2017.

 

[18] Riatti 2016, 347.

 

[19] Für eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Reaktionen auf Sarkeesians Videos, siehe den Beitrag von Pauline Lüthi in diesem Band.

 

[20] Vgl. Sarkeesian 2012.

 

[21] Die Website findet sich unter https://feministfrequency.com/.

 

[22] Riatti 2016, 348 (Hervorhebungen vom Original-Text übernommen).

 

[23] Haraway 1991, 1.

 

[24] Ebd., 1.

 

[25] Vgl. Haraway 1991, 1–2.

 

[26] Vgl. Ebd., 21–22.

 

[27] Jahrmann 2017.

 

[28] Ebd.

 

[29] Drei Studierende, die dieses Seminar 2016 besuchten, werden im Folgenden zu Wort kommen.

 

[30] Auch innerhalb der Seminarstruktur ist ein Wandel zu beobachten: Lag der Fokus des praktischen Teils 2016 auf der Umgestaltung einer weiblichen Figur, so wurde er 2017 auf beide Geschlechter ausgeweitet. Dabei rücken nicht nur Darstellung, sondern auch Gendering-Strategien in den Fokus. Diese Ausweitung auf männliche und weibliche Stereotypen innerhalb des Seminars erfolgte laut der Dozentin, weil sie öfters auf eine grosse Abwehrhaltung der männlichen Studierenden gestossen sei: «Und dann habe ich mir überlegt, ja eigentlich haben sie auch recht, es ist auch eine Thematik, die in die umgekehrte Richtung stimmt.» (Jahrmann 2017)

 

[31] Vgl. Schmidt-Lauber 2001, 175.

 

[32] Shadow 2017.

 

[33] Speedy 2017.

 

[34] Bashful 2017.

 

[35] Shadow 2017.

 

[36] Sarkeesian beschäftigte sich intensiv mit diesem Tropus.

 

[37] Wikipedia b 2017.

 

[38] Speedy 2017

 

[39] Ebd.

 

[40] Speedy 2017.

 

[41] Wikipedia a 2017.

 

[42] Bashful 2017.

 

[43] Speedy 2017.

 

[44] Shadow 2017.

 

[45] Speedy 2017.

 

[46] Bashful 2017.

 

[47] Zimmerman, 2008, 1.

 

[48] Speedy 2017.

 

[49] Shadow 2017.

 

[50] Speedy 2017.

 

[51] Shadow 2017.

 

[52] Zimmerman 2015, 22–23.