Catrina Ursina Wörndle

«So wie wir es spielen, ist es halt etwas ernster»

Einblicke in den Alltag von Schweizer E-Sportlern

In den letzten Jahren wurde in den Medien immer öfters über E-Sports berichtet. Der Begriff E-Sports («electronic sports»[1]) bezeichnet professionelles, kompetitives Gaming, wozu regelmässiges Training, das Spielen in E-Sports-Ligen sowie die Teilnahme an Turnieren gehören. Der Ausdruck E-Sports wurde erstmals Ende der 1990er-Jahre verwendet[2], zuvor wurde das Wort ‹Cyberathlete› gebraucht.[3] Kompetitives Gaming ist keine neue Erscheinung. Schon 1972 fand ein Wettkampf, Spacewar Olympics genannt, im Game Spacewar statt: «From the start, computer game players seemed drawn not to only their interaction with the machine but to the competitive space against one another it could facilitate.»[4]

Was unter E-Sports zu verstehen ist, definiert Wagner wie folgt: «‹eSports› is an area of sport activities in which people develop and train mental or physical abilities in the use of information and communication technologies.»[5] Dabei können E-Sports Einzel- sowie Team-Aktivitäten beinhalten. Martončik ergänzt diese Definition mit dem Hinweis, dass E-Sports zudem eine Mischung aus elektronischen Spielen, Sport, Business und Medien seien.[6] Gemeinsamkeiten mit herkömmlichem Leistungssport sind folglich regelmässiges Training, Teamwork oder «the perfect execution of tactics planned in advance»[7]. Im Gegensatz zu Hobby-Gamer/innen spezialisieren sich professionelle Spieler/innen meistens nur in einem Game und nehmen an LAN[8]– oder an Online-Wettkämpfen teil. Neben Turnieren existieren auch verschiedene E-Sports-Ligen, in denen sich die Spieler/innen und/oder Teams miteinander messen.

International und insbesondere auch im asiatischen Raum entwickelten sich E-Sports zu einem wichtigen Bestandteil der Gaming-Szene: Weltweit gibt es Millionen von E-Sportler/innen. Turniere und deren Live-Übertragungen füllen Stadien mit Zuschauer/innen, teilweise werden solche Wettkämpfe bereits live im Fernsehen übertragen. Das The International im Sommer 2016, ein Turnier des Multiplayer Online Battle Arena[9] -Spiels Dota 2, hatte mit über 20 Millionen US-Dollar den grössten Preispool, den es in E-Sports je gab.[10]

In der Schweiz haben E-Sports diese Popularität noch nicht erreicht, wobei in den Medien zunehmend über Schweizer E-Sports berichtet wird. Daneben zeigt sich die wachsende Popularisierung an deren Institutionalisierung und der Durchführung von Events: Es bestehen die Swiss E-Sports Federation (SESF)[11] und die Swiss Association for eSports and Gaming (SAEG)[12], verschiedene E-Sports-Events wie die SwitzerLAN 2016 mit 1000 Teilnehmer/innen[13], Turniere sowie E-Sports-Teams und teilweise Schweizer E-Sports-Ligen.

Folglich handelt es sich um ein Phänomen mit wachsender Bedeutung. In meinem Artikel setze ich mich mit der Schweizer E-Sports-Szene auseinander, wobei ich den Fokus auf die E-Sportler/innen selbst und deren Alltag lege.[14] Dazu führte ich eine Feldforschung bei mYinsanity (mYi), der grössten E-Sports-Organisation der Schweiz, durch. Um Einblicke in die Organisation und die Lage der E-Sports in der Schweiz zu erhalten, interviewte ich Manuel Oberholzer, Mitglied der Leitung von mYi. Durch Interviews mit Spielern[15] des League of Legends-Team von mYi konnte ich Eindrücke über ihren Alltag und ihre Spieler-Karrieren gewinnen.[16] Ergänzend dazu wandte ich bei einem Training dieses Teams die Methode der (teilnehmenden) Beobachtung[17] an, um selbst erfahren und beobachten zu können, wie ein solches Training abläuft.

mYinsanity und die Lage der E-Sports in der Schweiz

Im Experten-Interview erklärte mir Manuel Oberholzer, dass in der Schweiz im Vergleich zu Deutschland in Bezug auf E-Sports grosser Nachholbedarf bestehe.[18] In den letzten Monaten sei es jedoch zu verschiedenen positiven Entwicklungen gekommen. So wurde im August 2016 die Swiss Association for eSports and Gaming (SAEG) gegründet und die bereits seit einiger Zeit existierende Swiss E-Sports Federation (SESF) befinde sich in einer Phase der Re-Organisation. Die Entwicklungen in der Schweizer E-Sports-Szene seien auch anderorts sichtbar: Im Oktober 2016 wurde die Plattform e-sports.ch mit UPC[19] als Hauptsponsor eröffnet. Auch im klassischen Sport halten E-Sports immer mehr Einzug – so habe bspw. der FC St. Gallen FIFA-Spieler aufgenommen; beim FC Luzern sei ähnliches geplant.[20]

Dass sich innerhalb der Schweizer E-Sports-Szene vieles im Aufbau befinde, allerdings trotzdem noch viel aufzuholen sei, betonte Oberholzer im Interview.[21] In einer breiten Öffentlichkeit werden E-Sports noch kaum wahrgenommen, was unter anderem damit zusammenhänge, dass aktuell E-Sports-Zuschauer/innen auch diejenigen seien, die selbst spielen.[22] Um eine grössere Entwicklung der Schweizer E-Sports-Szene voranzutreiben, sollte deshalb ein Publikum generiert werden, das nicht nur aus Gamer/innen, sondern auch aus reinen Zuschauer/innen bestehe. Dabei sieht Oberholzer die Zukunft vor allem in Live-Übertragungen von E-Sports-Matches und -Turnieren auf Portalen wie Facebook, YouTube oder Twitch.[23]

Manuel Oberholzer ist Projektleiter und Marketing-Manager bei MYI Entertainment[24] und Head of Marketing bei mYi Schweiz[25]. Als Verein existiert mYinsanity seit 2009. Im Sommer 2016 wurde die GmbH MYI Entertainment gegründet, die als eine Art ‹Obergefäss› fungieren soll, um gegenüber Partner/innen einheitlicher auftreten zu können. Seit Dezember 2016 wird mYinsanity neu in mYi International und mYi Schweiz unterteilt. Dadurch soll einerseits eine bessere Förderung der Schweizer E-Sports-Szene erreicht werden, andererseits sollen Chancen für neue Partnerschaften entstehen.[26] mYi International unterstützt zurzeit Spieler/innen und Teams der Games HearthStone, StarCraft 2, Counter Strike: Global Offensive, Heroes of the Storm und Rocket League.[27] Bei mYi Schweiz sind Spieler/innen und Teams der Games League of Legends, Dota 2, Hearthstone und demnächst auch Counter Strike: Global Offensive unter Vertrag.[28] Insgesamt haben Spieler/innen und Teams von mYi bereits über 500‘000 Dollar Preisgeld gewonnen.[29] Die Mitarbeiter/innen von mYi erhalten jedoch meist keinen Lohn für ihre Tätigkeit in der E-Sports-Organisation. Mit MYI Entertainment soll sich das allerdings ändern: Angemessene Löhne und die Schaffung von Vollzeitstellen sind das Ziel.[30]

Das Gaming-Haus von mYi befindet sich im ruhigen und ländlichen Kirchlindach in der Nähe von Bern. Es ist einerseits das Zuhause zweier Manager der Organisation wie auch einiger ihrer Freunde aus dem Gaming-Bereich, andererseits bietet es Raum für Bootcamps oder Events wie kleinere Turniere oder Übertragungen von grossen E-Sport-Turnieren. Teilweise wohnen dort für mehrere Monate Spieler/innen, die bei mYi unter Vertrag stehen. Im Haus fand am Tag meines Besuches ein HearthStone[31]-Turnier statt. Zudem führte das League of Legends-Team ein fünftägiges Trainings-Camp durch.Das League of Legends-Team von mYinsanity

Bei League of Legends (LoL) handelt es sich um ein kostenloses Computerspiel[32], das dem Genre des Multiplayer Online Battle Arena (MOBA)[33]  zugeordnet wird. Seit es im Jahr 2009 auf den Markt kam, entwickelte es sich zu einem der populärsten Games dieses Genres[34] und wird von ca. 100 Millionen Spieler/innen mindestens einmal im Monat gespielt.[35]

Gespielt wird LoL in zwei gegnerischen Teams mit jeweils fünf Spieler/innen auf einer räumlich begrenzten Map (Spielfeld).[36] Zu Beginn der Spielpartie können die einzelnen Spieler/innen je einen aus aktuell über 130 sogenannten Champions[37] (Game-Charaktere) wählen, die sich in Aussehen und Fähigkeiten unterscheiden[38]. Jedes Team besitzt jeweils eine Base, die sich an beiden Enden des Spielfelds befindet. Ziel des Spiels ist es, die Base des anderen Teams zu zerstören. Die durchschnittliche Spieldauer für ein Game (inklusive der Auswahl der Champions) beträgt rund 30 bis 40 Minuten.

Abb. 1: Cover von League of Legends

Momentan existiert in der Schweiz keine League of Legends-Liga, daher besteht zurzeit nur die Möglichkeit, an Turnieren und LANs zu spielen.[39] Mehrere Versuche, eine solche Liga aufzubauen, sind gescheitert, da es in der Schweiz viele Teams gibt, die nicht dazu bereit sind, alle zwei Wochen ein Wochenende für das Gamen zu opfern. Dazu kommt die kurze Beständigkeit der Teams: Viele lösen sich bereits nach kurzer Zeit wieder auf.[40]

Das LoL-Team, das bei mYi unter Vertrag ist, besteht aus einem Team-Manager und fünf männlichen Spielern, die jeweils eine der möglichen Spiel-Positionen besetzen. Die Team-Bildung ist dabei die Sache der Spieler/innen und des Team-Managers; mYi hält sich bewusst aus dieser Entscheidung raus. In diesem Kontext erklärte Manuel Oberholzer: «Für uns ist einfach wichtig, dass wir ein funktionierendes und gutes Team haben. Wer jetzt dort spielt, ist für uns eigentlich nur sekundär wichtig. Für uns ist wichtig, dass das Marketing funktioniert.»[41]

Die E-Sports-Organisation mYi unterstützt ihr Team, indem Räumlichkeiten für Trainingswochen zur Verfügung gestellt werden, wie das während des Interview-Termins stattgefundene Bootcamp. Eine weitere Form der Unterstützung ist finanzieller Art. So werden bspw. Eintritte für LANs von mYi bezahlt. Gehört das Team bei einem Turnier zu den Top 3, erhält jede/r Spieler/in zusätzlich zum Preisgeld 50 Schweizer Franken von mYi. Sonstige Kosten wie die Ausrüstung (PC, Tastatur, Maus, Headset etc.) und Reisekosten müssen die Spieler/innen selbst übernehmen, was diese durchaus vor finanzielle Probleme stellen kann.[42] In der jetzigen Formation existiert das LoL-Team von mYi erst seit November 2016 und hat bisher an einem Online-Turnier teilgenommen.[43] Da das Team erst seit Kurzem zusammen spielt, gibt es noch keine fixen Trainingszeiten, wie es normalerweise üblich ist. Drei fixe Trainings pro Woche sind die Norm, zusätzlich dazu würden Spieler/innen allein spielen, um ihre Champions zu trainieren. Die Organisation der Trainings gestaltet sich zurzeit aufgrund der verschiedenen Zeitfenster der Teammitglieder schwierig: Drei der Spieler befinden sich momentan noch in der Ausbildung und haben daher unter der Woche nur wenig Kapazität.

Plusle, Swissi und Tirizio im Gespräch

Der Weg ins League of Legends-Team

Für das Gruppeninterview[44] stellten sich drei der fünf Spieler des LoL-Teams zur Verfügung. Diese drei Spieler waren zum Zeitpunkt des Interviews zwischen 18 und 22 Jahre alt. Im Folgenden soll ihr Weg zum LoL-Team nachgezeichnet werden. Der 18-Jährige mit dem In-Game-Namen Plusle besucht zurzeit die Handelsmittelschule. Er ist Captain des Teams und spielt die Position ‹Top›. Plusle spielt seit ca. fünf Jahren am Computer, vorher nutzte er Konsolen. Den allerersten Kontakt mit Games hatte er mit etwa vier Jahren. Seit der zweiten Sekundarstufe spielt er LoL, allerdings erst seit eineinhalb Jahren intensiv.

Swissi ist 20 Jahre alt, gelernter Metallbauer und zurzeit auf Stellensuche. Im Team spielt er die Position ‹Mid›. Seine Gamer-Anfänge liegen lange zurück: Als Kind habe er einen Gameboy besessen, aber nie wirklich damit gespielt. Erst als er in der ersten oder zweiten Klasse eine Playstation von seinem Vater geschenkt bekommen habe, sei er zum Gamer geworden. Inzwischen spielt er LoL seit fünfeinhalb Jahren, habe aber dazwischen ein Jahr lang fast gar nicht gespielt.

Der im Spiel Tirizio genannte Mann ist 22 Jahre alt und besuchte das Gymnasium, bevor er dieses abbrechen musste. Bei LoL spielt Tirizio die Position ‹Support›. Mit neun oder zehn Jahren begann er mit dem Gamen, durfte damals aber nur zwei Stunden pro Woche vor dem PC verbringen – seine Eltern seien diesbezüglich sehr streng gewesen. LoL spielt er seit sieben Jahren; die ersten drei Jahre davon aber eher selten und unregelmässig. Seit vier Jahren absolviert er nun nicht mehr lediglich zwei Spiele im Monat, sondern spielt jede Woche.

Zwei der Befragten kamen durch einen Freund das erste Mal in Kontakt mit LoL, Swissi hingegen lernte das Spiel durch seinen Cousin kennen. Über Freunde und Familie in die Game-Welt zu gelangen, beschreibt T. L. Taylor als typischen Weg: «Unsurprisingly most players start in their own, or friend’s, homes. They pick up a game, often on the recommendation of a friend or family member, and find it captivates them.»[45] Entgegen der Aussage von Taylor schilderten alle Interviewten, dass sie anfänglich keinen Gefallen am Spiel fanden. Swissi habe sogar gedacht, um direkt mit seinen Worten zu sprechen: «Was isch das für es Shit-Game!»[46] Ähnlich hätten auch Tirizio und Plusle reagiert. Letzterer habe LoL nach dem ersten Versuch auch gleich wieder deinstalliert. Trotzdem habe es die Befragten irgendwie fasziniert, weshalb sie beim Spiel geblieben bzw. zu ihm zurückgekehrt seien.

Die Wege zum kompetitiven Spielen unterscheiden sich bei den interviewten Spielern. Tirizio suchte aktiv den Vergleich mit anderen Spieler/innen – sein Wunsch war es, die dem Spiel zugrunde liegenden Strategien noch besser zu verstehen, es strategisch zu durchdringen: «In dem Sinn: gescheiter spielen, mit Überlegung spielen und nicht einfach spielen, damit ich möglichst viel Zeit verschwendet habe.»[47] Der kompetitive Aspekt ist ihm also wichtig.

Anders bei Swissi, für den die sozialen Aspekte wichtiger waren. Er erklärte, er habe nie gern allein LoL gespielt. Die logische Konsequenz daraus war das Spielen mit Freunden. Trotzdem müsse man auch allein spielen, um zu trainieren, weiterzukommen und dazuzulernen. Mit der Zeit sei Swissi bewusst geworden, dass er in LoL «nicht so schlecht» sei, worauf er sich entschieden habe, sich ein Team zu suchen: «Zu fünft ist es viel komplexer, das macht viel mehr Spass.»[48] Kollaboration und Komplexität fördern somit für Swissi die Attraktivität des Spiels.

Plusle hingegen suchte nicht, sondern wurde gefunden: Das «Fun-Team» seines Bruders, also ein Team ohne grössere Ambitionen, suchte nach einem fünften Spieler. Erst als ein Freund, der nach Plusles Angaben mit Abstand besser als alle anderen spielte, eine Anfrage vom damals besten Schweizer Team bekommen habe, erfuhr er, dass überhaupt ambitioniertere Teams, Turniere und LANs existierten. Zu diesem Zeitpunkt habe Plusle grosse Vorurteile gegenüber Spielern, die LANs besuchen, gehabt und er habe niemals daran gedacht, selbst einmal an solchen Events teilzunehmen. Nach und nach entwickelten sich die Spieler in seinem Freundeskreis weiter, wurden besser und gelangten so zu verschieden Organisationen, was auch ihn anspornte: «Ehrlich gesagt: Wären meine Kollegen nicht gut geworden, hätte ich niemals so etwas probiert.»[49] Soziale Aspekte sind damit nicht nur Reiz, sondern auch Ansporn.

Dieser Einstieg in eine Gaming-Karriere findet sich auch in den Forschungen von Taylor. Der Wunsch nach dem Vergleich und einem sich Messen mit anderen Spieler/innen treibt viele E-Sportler/innen an[50], wie auch das Ziel des besseren Spielverständnisses und das Beherrschen des Games: «They will devote hours upon hours to mastering it, endlessly fascinated by the intricacies of the system, its characters, its weapons, its properties. Figuring out strategies and tactics become core play activities.»[51] Wie Swissi und Plusle beginnen viele E-Sportler/innen mit dem Spielen mit Offline-Freunden oder Familienmitgliedern.[52] Dabei kristallisieren sich die angehenden E-Sportler/innen öfters als die stärksten Spieler/innen im Team heraus, was dazu führt, dass sie ihr Können ausserhalb des engeren Freundeskreises oder der Familie testen möchten: «The move to playing beyond their immediate social network is an important developental step in the life of a pro gamer.»[53] Daraus folgt, dass solche Spieler/innen von Teams und Clans aufgenommen werden, deren Mitglieder sie oft nur online kennen.[54]

Obwohl sich die Wege der interviewten Spieler zu E-Sports unterscheiden, weisen diese eine Gemeinsamkeit auf. Egal ob es darum geht, sich mit anderen Spieler/innen zu messen, zu einem Team zu gehören oder sich gegenseitig anzuspornen: Die sozialen Aspekte stehen im Zentrum.

Skills und Rahmenbedingungen

Was muss ein/e Spieler/in mitbringen, um in der Welt der E-Sports bestehen zu können? Für professionelles Gaming sind laut Taylor folgende Aspekte ausschlaggebend:

«If we were to break down the various areas that professional play requires it would include embodied skill and mastery, technical facility, game and systems mastery, tactical and strategic thinking, skilled improvisation, social and psychological skills, and, at the top-most end, career and institutional savvy.»[55]

Darüber hinaus wird aus den Interviews klar, dass (Selbst-)Disziplin, Durchhaltevermögen sowie Kritikfähigkeit zentrale Eigenschaften sind, die ein/e E-Sportler/in mitbringen muss. Auf einem höheren Level sind laut Tirizio vor allem die Motivation und der Wille entscheidend. Plusle sieht dies ähnlich: Wenn ein Training ansteht, müsse man dieses auch durchziehen. Zudem habe ein/e E-Sportler/in seinem Team gegenüber eine gewisse Verpflichtung: So könne man gemäss Plusle nicht nach kürzester Zeit einfach aus einem Team aussteigen, lediglich weil man keine Lust mehr habe. Dieses Durchhaltevermögen sei besonders wichtig, wenn es um die Trainingszeiten eines/einer Top-Spieler/in gehe, die zwischen zehn bis zwölf Stunden pro Tag lägen. Plusle habe dies als Selbstversuch während seiner Ferien ausprobiert – nach ein- bis eineinhalb Tagen habe er seine Motivation und die Lust zu spielen verloren: «Ich mache das Spiel gern, aber ich mache auch andere Dinge gern.»[56] Entweder müsse man das Spiel sehr mögen, oder es ‹commited› und fokussiert durchziehen.

Swissi fügte hinzu, dass bei einem/einer Profi-Spieler/in, der/die sein/ihr Geld mit E-Sports verdiene, ein Vertrag dazukomme. Dadurch werde das Gamen zu seinem Job. Beim Spielen selbst ist laut Plusle zudem Kritikfähigkeit gefragt: Man müsse sowohl Kritik annehmen können als auch selbstkritisch sein. Ein/e E-Sportler/in müsse einsehen können, wenn er einen Fehler gemacht habe und an seinen Schwächen arbeiten, statt Ausreden wie ‹die Tastatur hat geklemmt› zu suchen.

Daneben wurde von Swissi Talent als weitere Voraussetzung für E-Sports genannt: «Wenn man wirklich erfolgreich sein will, muss man ein Grundtalent mitbringen.»[57] Es gäbe viele ‹schlechte› Spieler/innen, die ihre Defizite durch viel Training wettmachen können. Diejenigen, die Talent mitbringen, würden schneller lernen und dadurch automatisch besser werden als erstgenannte. Dies mache es einfacher, ein hohes Level erreichen zu können. Als weiteren wichtigen Faktor nannte Plusle die Zeit. Es gäbe Schwierigkeiten, E-Sports mit einer herkömmlichen Sportart zu kombinieren, da beide Trainings meistens zur gleichen Zeit stattfinden würden.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Akzeptanz des Umfeldes, insbesondere auch jene der Eltern, bei denen die befragten Spieler noch wohnen: «Wenn es heisst: heute ist Training und dann sagt die Mutter ‹Nein, du darfst nicht gamen!›»[58], sei es nicht möglich, E-Sports zu betreiben, erklärte Plusle.

E-Sports zwischen Spiel und Ernst – «Man will was erreichen»

Kann eine Grenze zwischen Hobby und E-Sports gezogen werden? E-Sports hebt Oberholzer von Casual Gaming[59] durch folgende Charakteristika ab: Ambitioniertes, kompetitives Gaming in einem Team und die Teilnahme an Turnieren gehören ebenso zu E-Sports wie das Lesen von Guides. Die Mitglieder des LoL-Teams schauen zudem Streams, vor allem wenn es sich dabei um gute Teams und grosse Turniere handle.

Einen weiteren wichtigen Aspekt in der Abgrenzung von E-Sports zu Casual Gaming stellen die Trainings im Team dar, die von Ernsthaftigkeit und Konzentration geprägt sind. Bei der teilnehmenden Beobachtung fielen insbesondere das Aushandeln der Spielstrategie bei der Wahl der Champions sowie die Kommunikation während des Matches auf. Das Diskutieren und Miteinander-Sprechen wurde während des gesamten Spiels so gut wie nie unterbrochen. Nach der Niederlage wurde das Spiel analysiert, diskutiert und bestimmte Spiel-Szenen nochmals angeschaut.

Die Spieler selbst grenzen Casual Gaming von E-Sports durch folgende Aspekte ab: die Motivation, sich ständig zu verbessern, das bessere Spielverständnis der E-Sportler und das strategische und umsichtige Teamplay. Dazu führt Tirizio aus:

«Diejenigen, die einfach so ein bisschen in der Freizeit spielen, verstehen nicht, was sie machen. Sie können ihre Champions nicht wirklich spielen, sondern sie denken: ‹Ahh, dieser Champion hat noch coole Dinge, die er machen kann!› Aber sie verstehen nicht wirklich, was man damit machen könnte und wie man das nutzen sollte. Das ist genau das, was wir versuchen, auf ein möglichst hohes Level zu bringen: Welche Champions passen am besten zusammen und können etwas Sinnvolles zusammen machen und das volle Potenzial ausschöpfen? Das ist für mich der grösste Unterschied.»[60]

Hier vollzieht Tirizio eine klare Abgrenzung von Hobby-Spieler/innen: Durch die intensivere Auseinandersetzung mit einem Computerspiel erreichen E-Sportler/innen ein besseres Spielverständnis und dadurch ein höheres Spiel-Niveau als Casual Gamer/innen. Dass ein besseres Spielverständnis der E-Sportler/innen einer der wichtigsten Aspekte des kompetitiven Gamings ist, konnte Taylor auch auf internationalem Level feststellen:

«One of the most important things looking closely at the practices of highend competitive computer gamers reveals is that playing can be a complex form of expressive human action. Rather than gamers being simply ‹button mashers›, professional players illuminate the skill, strategic thinking, embodied knowledge, and complex human-technological hybridity at work in producing sophisticated computer game play.»[61]

Plusle erklärt, er sei vor seiner E-Sports-Karriere schneller mit sich und seiner Leistung zufrieden gewesen. Er nennt das Beispiel eines Teams, das sie im Moment noch nicht schlagen könnten. Wenn er und sein Team nur casual spielen würden, könnten sie sagen, es sei egal, das Gegnerteam sei schlichtweg besser. Als E-Sportler aber arbeiten sie daran, sich zu verbessern, sodass sie das Gegnerteam schlagen können. Dem stimmt auch Tirizio zu: «Man will was erreichen.»[62]

Ähnlich verhalte es sich, wenn man einen guten Champion nicht gern spiele. Da man im Team schnell ersetzt werden könne, müsse man lernen, einen solchen Champion zu spielen. Man müsse sich anpassen können. So gehört auch für Plusle Teamplay zu E-Sports und zum Spielen im Team. Man spiele auch einen Champion, den man nicht unbedingt bevorzuge, lediglich weil es für das Team nützlich sei. Swissi sieht dabei Aspekte der Verpflichtung dem Team gegenüber:

«Wenn man in der Freizeit spielt, hat man keine Verpflichtungen. Wenn man ein Team hat, spielst du nicht für dich selbst, sondern auch für die anderen. Du willst nicht, dass sie wegen dir verlieren, weil du es nicht so ernst nimmst.»[63]

Daher käme es auch vor, dass man spiele, auch wenn man keine Lust dazu habe. E-Sports scheinen also zwischen Hobby und Arbeit zu pendeln. Viele Aspekte, die eher dem Bereich der Arbeit zugeordnet werden können, treffen auch auf E-Sports zu, denn das Team muss einen Vertrag mit mYi einhalten und die einzelnen Spieler haben Verpflichtungen dem Team gegenüber.

E-Sports und Familie – «Mein Vater findet es easy cool»

Der Alltag der befragten LoL-Spieler richtet sich insbesondere nach ihrer Haupttätigkeit wie bspw. ihrer Ausbildung. E-Sports-Trainings und -Turniere dominieren die Freizeit der Befragten in einem hohen Mass. Die Abende sind oft für die Trainings reserviert, weshalb Planung und Absprachen für die Interviewten ausgesprochen wichtig sind. Ansonsten wäre es kaum möglich, neben E-Sports noch Freizeitaktivitäten zu betreiben. Für spontane Unternehmungen bleibt nur selten Zeit.

Tirizios Eltern und Plusles Mutter wären ganz und gar nicht begeistert gewesen, dass ihre Söhne so oft am Computer spielten. Plusles Mutter habe sich vor allem zu Beginn, er war damals erst 15 Jahre alt, stark gegen das Gamen ausgesprochen. Plusles Vater sehe dies lockerer: «Mein Vater findet es easy cool, getraut sich aber wie zum Teil nicht, das zu sagen.»[64] Ein Schlüsselerlebnis sei der Besuch des alten mYi-Teams gewesen, als er im Krankenhaus war. Dieser Besuch fand zeitgleich mit dem seiner Eltern statt, wobei diese sahen, dass es sich bei diesen Gamern um ‹ganz normale Menschen› handle. Inzwischen werde E-Sports auch von seiner Mutter eher akzeptiert. Plusle war sich bewusst, dass dies Zeit brauche:

«Es entwickelt sich, man muss dem Zeit geben. Ich habe auch nicht von Tag eins an erwartet, dass wenn ich zu meiner Mutter sage‚ ‹Hey, ich game nun um Geld!›, dass sie sagt ‹Super, mach weiter so!›.»[65]

Wie Plusles Vater gehe auch jener von Swissi mit dem Gamen seines Sohnes eher lockerer um. Er habe ihm nie gesagt, dass er aufhören müsse. Trotzdem würde sein Vater ab und zu mit Kommentaren sein Spielverhalten kritisieren. Plusles Schulkollegen/innen hätten lange nicht gewusst, dass er E-Sports betreibe. Erst nach einem Bericht über E-Sports in der SRF Sportlounge, in dem er als Caster vorkam, erfuhren sie davon. Nun machen die einen Witze, andere fänden es cool, aber die meisten könnten sich nichts darunter vorstellen.

Da Swissi im Rahmen seiner Berufslehre eine Vertiefungsarbeit über E-Sports geschrieben hatte, wussten seine Klassenkolleg/innen darüber bescheid. Wie bei Plusle stiessen Swissis E-Sports-Tätigkeiten bei seinen Schulfreund/innen und Arbeitskolleg/innen kaum auf Interesse. Mit blöden Sprüchen wurde auch Swissi konfrontiert: Er brachte dies in Zusammenhang mit der meist negativen Berichterstattung über Games im Fernsehen, die ein Bild von einem faulen, im Keller sitzenden Gamer vermitteln würden. Swissi grenzt sich selbst stark von diesem mit Vorurteilen behafteten Bild ab: «So wie wir es spielen, ist es halt etwas ernster. Es ist etwas mehr als ein Hobby.»[66]

Nebst dem Betreiben von E-Sports tanzt Tirizio in seiner Freizeit. Diejenigen unter seinen Tanz-Freund/innen, die er öfters sehe, wissen, dass er E-Sports spiele. Einige fänden es cool, andere wiederum hätten kein Interesse daran. So scheint für Tirizio die Meinung anderer auch keine Rolle zu spielen: «Mir ist es eigentlich egal, was sie davon halten – es ist meins und nicht ihres.»[67] Trotzdem berichtet er über die Schwierigkeit der allgemeinen Akzeptanz: «Viele haben etwas gegen den PC. Der PC sei Gift und sehr süchtig machend. Ich musste mich immer wieder verteidigen, dass ich das mache.»[68] Das fehlende Wissen der Gesellschaft wurde auch von Oberholzer im Experten-Interview angesprochen. So wüssten viele Leute gar nicht, dass Games überhaupt kompetitiv gespielt werden können. Auf diesen Umstand macht auch Taylor aufmerksam: «[…] it is not unusual for players to find their passion not understood outside the community.»[69] Dieses Unwissen kommt auch bei Oberholzer in der Beobachtung der Medienberichterstattung zum Vorschein: Werde über E-Sports in den Medien berichtet, so erkläre man E-Sports als Phänomen und publiziere dabei nicht, wie bei klassischen Sportarten üblich, die Resultate oder Analysen der Spiele.[70] Reine Resultate und Spielanalysen könnten momentan wohl nur Mitglieder der E-Sports-Szene verstehen. Problematisch an dem von Oberholzer beschriebenen Unwissen der Öffentlichkeit ist, dass dieses die kaum vorhandene Akzeptanz des E-Sports verstärke. Man müsse zuerst das Stigma überwinden, dass alle Gamer/innen ‹Kellerkinder› seien, meinte Oberholzer. Der Marketing-Experte von mYi fügte hinzu, dass sich dies mit Handy-Games, Party-Games und Konsolen wie der Nintendo Wii in einem Wandel befinden würde: «Auch wenn es die Leute nicht realisieren: Eigentlich ist heute fast jeder ein Gamer.»[71] Trotzdem bedeute dies nicht, dass sich automatisch sämtliche dieser Menschen für E-Sports interessieren würden.

Bildung von Freundschaften durch das Gamen – «Es ist egal, woher du kommst, es verbindet dich»

Das Teilen einer gemeinsamen Leidenschaft innerhalb der Gaming- und E-Sports-Szene sowie das gleichzeitige Unverständnis der Aussenwelt, das den Spieler/innen entgegengebracht wird, führen sowohl zu einer Abgrenzung gegen aussen als auch zu einer Identifikation gegen innen. Diese identitätsbildenden Prozesse stärken den Zusammenhalt der Gruppe. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass sich, so berichteten die Interview-Partner, durch E-Sports und Gaming neue Freundschaften bilden. Bspw. habe Swissi seine engen Freunde durch das Gamen kennengelernt. Man könne sich besser mit ihnen unterhalten, da man dasselbe Hobby teile: «Es ist egal, woher du kommst, es verbindet dich.»[72] Auch Plusle berichtete von Freundschaften, die durch das gemeinsame Spielen entstanden seien. Swissi fügte hinzu, man habe sehr viele Kollegen, lediglich sehe man diese nicht ständig: «Man muss nicht jeden Tag jemanden sehen, um mit ihm befreundet zu sein.»[73] Solche Aussagen stehen den Vorwürfen, Online-Games würden zu einer Verminderung an sozialen Beziehungen führen[74], diametral gegenüber. Ähnliche Befürchtungen hatte auch Swissis Vater, der ihn mit Kommentaren wie «So findest du keine Kollegen!»[75] konfrontierte.

Studien belegen jedoch, dass das Teilen von gemeinsamen Freizeitaktivitäten dazu beiträgt, bereits bestehende soziale Beziehungen wie Freundschaften aufrecht zu erhalten und zu festigen, aber auch neue zu bilden.[76] So wirkt das gemeinsame Spielen in einem E-Sports-Team als wichtiger Faktor in der Bildung und Aufrechterhaltung von Freundschaften, die über das Gamen hinauswirken:

«One’s co-players are often more than just individuals who help achieve in-game instrumental goals. Co-players often become close, trusted friends and valued sources of online advice.»[77]

Das Spielen in Clans und Teams wirkt einer potenziellen sozialen Isolation durch das Gamen also eher entgegen, als dass dadurch eine solche erzeugt und gefördert wird.[78]

Im Interview bestätigte Plusle, dass Freundschaften auch innerhalb eines Teams ein zentrales Element darstellen. In seinem ersten Team verliessen seine Freunde nach und nach die Mannschaft; mit den neuen Mitgliedern verstand er sich nicht mehr so gut. Das führte dazu, dass Plusle den Spielspass etwas verlor. Im jetzigen LoL-Team von mYi sei das anders: «Es ist halt auch wie eine Familie hier, blöd gesagt.»[79] Soziale Beziehungen innerhalb eines Teams scheinen also eine wichtige Rolle zu spielen. Ein Team muss auf der zwischenmenschlichen Ebene funktionieren, da ein gemeinsames Zusammenspiel, und damit auch der Erfolg im Spiel, sonst kaum möglich sind.

Auch Martin Geisler betont die zwischenmenschliche Ebene eines funktionierenden Teams: «Soziales Handeln, Gefühlsbekundungen, gemeinsame Erlebnisse, Eifer und Freundschaftsbande kennzeichnen einen in sich erfolgreichen Clan.»[80] Typisch für Teams und Clans seien laut Geisler zudem die sowohl online als auch offline stattfindenden Gruppenaktivitäten[81], die sich bei den befragten LoL-Spielern bspw. in Form eines Bootcamps oder gemeinsamer LAN-Besuche ebenfalls wiederfinden lassen.

Zukunftsperspektive – «Ich mache es, solange es mir Spass macht, und sehe, wohin es mich führt»

Auf einer noch ‹höheren› Stufe als E-Sportler/innen befinden sich Pro-Gamer/innen. Die Grenzen zwischen E-Sportler/innen und Pro-Gamer/innen sind fluid, trotzdem grenzen sich die interviewten E-Sportler selbst von Letzteren ab. Ein/e Pro-Gamer/in erreicht ein höheres monetäres Level und betreibt E-Sports als Haupttätigkeit. Es sei sehr schwierig, in der Schweiz Pro-Gamer/in zu werden, erklärten alle der befragten Spieler. Das Hauptproblem liege dabei im hohen Lohnniveau in der Schweiz: «Es ist es wie nicht wert. Der Lohn wird ja nicht an die Nationen angepasst.»[82] In anderen Ländern mit geringeren Löhnen sei es wahrscheinlicher, dass es sich auszahlen würde, komplett auf das professionelle Gamen zu setzen, erzählte Swissi. Auch Plusle stimmte dem zu: «Du musst schon zu den Starspielern gehören, dass du viel Geld machst.»[83]

Dazu komme die Unsicherheit, in einem Team bleiben zu können. Man könne jederzeit aus dem Team fliegen, es gäbe keine Versicherung, dass man in drei Jahren noch Teil davon sei, erzählte Plusle. Zudem sei es nicht möglich, während seines gesamten Lebens Pro-Gamer zu sein. Tirizio erklärte, dass man ab dem 25. Lebensjahr nicht mehr besser werde. Es sei zwar möglich, das Niveau durch intensives Training bis etwa zum 30. Lebensjahr aufrechtzuerhalten, danach gehe es unweigerlich abwärts.[84] Wenn man Glück habe, könne man dann einen Manager- oder Coaching-Job übernehmen, ansonsten gebe es kaum Möglichkeiten, in diesem Business weiterzuarbeiten

Die Erfolgschancen, mit dem LoL-Team auf dem internationalen Markt mithalten zu können, betrachtet Plusle eher nüchtern. Zwar seien sie auch sehr nahe daran, auf einem ‹guten Level› zu spielen, aber Teams, die vom Gamen leben können, seien auf einem ganz anderen Niveau: «Gegen Teams, die zehn Stunden pro Tag trainieren, haben wir keine Chance. Das müsste man selbst auch tun.»

So ist es nicht erstaunlich, dass keines der drei befragten Team-Mitglieder seine Zukunft als professioneller Spieler in E-Sports sieht. Tirizio erklärte, er habe überhaupt keine Absicht, Pro-Spieler zu werden und voll auf E-Sports zu setzen: «Ich mache es, so lange es mir Spass macht, und sehe, wohin es mich führt.»  Nach ihrer Zeit als aktive Spieler sei es für Plusle und Swissi zudem vorstellbar, eine Aufgabe im Bereich Management oder Spieler-Coaching zu übernehmen.

«Es ist mehr als ein Hobby»

Es konnte gezeigt werden, dass sich die interviewten LoL-Spieler in einem Stadium zwischen Professionalität und Hobby befinden. Einerseits spielen sie in einem Team, sind bei mYi unter Vertrag, verdienen mit dem Gamen teilweise Geld, haben Verpflichtungen dem Team gegenüber und sind dem Training verpflichtet, selbst wenn die Lust dazu fehlt. Trotzdem sehen sie E-Sports nicht als ihr zukünftiges Standbein, da sie sich der Schwierigkeit, in der Schweiz von E-Sports leben zu können, durchaus bewusst sind. Die Befragten haben also keine Illusionen, als E-Sports-Profi Karriere zu machen und zum Star zu werden – trotzdem investieren sie viel Zeit und Engagement in ihre Leidenschaft, wie man das von ambitionierten Sportler/innen kennt.

In vielen Bereichen können Parallelen von E-Sports zu klassischen Sportarten gezogen werden. Dieser Vergleich wurde von den Interviewten oft selbst gemacht – ohne dass ich sie direkt darauf angesprochen hätte. Daher ist die Thematisierung dieses Aspekts unumgänglich: Typisch für E-Sports und ‹herkömmlichen› Sport sind bspw. die regelmässigen Trainings, die Analysen und Diskussionen eines Matches, sportliche Team-Kleidung sowie das junge Alter der Spieler, das sich auch im LoL-Team zeigt. Dies hängt vermutlich einerseits mit der weniger starken beruflichen und familiären Einbindung zusammen, andererseits mit den mit zunehmendem Alter abnehmenden gaming-relevanten Fähigkeiten. Zudem geschieht, ähnlich wie beim klassischen Sport, eine Einbettung des E-Sports in den Alltag der Spieler. Dies verhält sich bidirektional: Die Trainings werden sowohl an den Alltag angepasst als auch der Alltag an die Trainings. Multiplayer-Games wie LoL weisen noch weitere Ähnlichkeiten zu Mannschaftssportarten auf: Teamfähigkeit, Kritikfähigkeit, Durchhaltevermögen und Disziplin können sowohl als Voraussetzungen für E-Sports wie auch für herkömmlichen Sport betrachtet werden und müssen, um erfolgreich zu sein, auch ausgebaut werden.

Eigenschaften wie Kritikfähigkeit und Selbstreflexion, die durch das ambitionierte Spielen in einem Team trainiert und gefördert werden, wurden auch in den Interviews mit den noch jungen E-Sportlern deutlich. Trotz ihres jungen Alters wirkten die Spieler in ihren Antworten sehr reflektiert und zeigten eine realistische Sichtweise auf viele E-Sports betreffende Dinge. Anderorts machte sich das junge Alter hingegen bemerkbar: Die Spieler wohnen noch bei ihren Eltern und sind noch nicht unabhängig. Daher kamen auch immer wieder Regeln zur Sprache, die sie zu befolgen haben, sowie Kommentare der Eltern zum Gaming-Verhalten ihrer Kinder. Die anfängliche Besorgnis der Eltern, dass ihre Kinder in soziale Isolation geraten oder Kontakt mit unpassenden Leuten haben könnten, hat sich im Interview mit den Spielern als nicht berechtigt erwiesen. Entgegen dem Vorurteil der sozial vereinsamten Gamer/innen hat meine Forschung gezeigt, dass Freundschaften gepflegt werden, diese gar als Grundlage der sozialen Beziehungen und des Erfolgs in E-Sports fungieren können. Trotzdem sind sowohl Akzeptanz als auch das Wissen über E-Sports in der breiten Öffentlichkeit anscheinend noch kaum vorhanden, weshalb sich die befragten Spieler oft rechtfertigen und erklären müssen. Die Konfrontation und der Umgang mit Vorurteilen regen ihre bereits erwähnte Introspektion und Gruppenbildung zusätzlich an.

Zur Legitimation von E-Sports und einer möglichen Akzeptanz in der Öffentlichkeit werden von den Interviewten selbst immer wieder Parallelen zwischen E-Sports und herkömmlichem Sport gezogen. Es soll dadurch gezeigt werden, dass sich E-Sports sowohl hinsichtlich Funktionen als auch Anforderungen kaum vom klassischen Sport unterscheiden. Die Legitimation von E-Sports als Sport kann so zur Förderung der Akzeptanz in einer breiten Öffentlichkeit führen. Doch damit die Anerkennung als Sport erfolgen kann, muss zuerst das Wissen über E-Sports ausserhalb der Szene wachsen.

Quellenverzeichnis

Interviews

Manuel Oberholzer, Experten-Interview vom 07.01.2017 in Kirchlindach.
Plusle, Swissi und Tirizio, Gruppen-Interview vom 07.01.2017 in Kirchlindach.

Audiovisuelle Quellen

SRF sportlounge: «e-Sport erobert die Welt». Schweizer Radio und Fernsehen (SRF), 25.04.2016 (http://www.srf.ch/play/tv/sportlounge/video/e-sport-erobert-die-welt?id=8368967e-9aea-4731-8e4b-ce374ba3cd86, abgerufen: 19.02.2017).
SRF sportlounge: «Die Schweiz: e-Sport-Provinz mit Potential». Schweizer Radio und Fernsehen (SRF), 25.04.2016 (http://www.srf.ch/play/tv/sportlounge/video/die-schweiz-e-sport-provinz-mit-potential?id=00c85313-4944-44c9-a067-b6af31125f10, abgerufen 19.02.2017).

Sekundärliteratur

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Domahidi, Emese, Ruth Festl und Thorsten Quandt: To Dwell among Gamers: Investigating the Relationship Between Social Online Game Use and Gaming-Related Friendships. In: Computers & Human Behavior 35 (2014), 107–115.
Flick, Uwe: Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. 4. Auflage. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2006 (2002).
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Geisler, Martin: Soziale Prozesse beim Computerspielen und in Computerspielgemeinschaften. In: Sonja Ganguin und Bernward Hoffmann (Hg.): Digitale Spielkultur. München: kopaed, 2010, 167–177.
Kowert, Rachel, Emese Domahidi, Ruth Festl und Thorsten Quandt: Social Gaming, Lonely Life? The Impact of Digital Game Play on Adolescents’ Social Circles. In: Computers in Human Behavior 36 (2014), 385–390.
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Martončik, Marcel: e-Sports: Playing just for Fun or Playing to Satisfy Life Goals? In: Computers in Human Behavior 48 (2015), 208–211.
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Schlehe, Judtih: Formen qualitativer ethnographischer Interviews. In: Bettina Beer (Hg.): Methoden ethnologischer Feldforschung. Berlin: Dietrich Reimer Verlag, 2008, 119–140.
Schmidt-Lauber, Brigitta: Das qualitative Interview oder: Die Kunst des Reden-Lassens. In: Silke Göttsch und Albrecht Lehmannn (Hg.): Methoden der Volkskunde. Positionen, Quellen, Arbeitsweisen der Europäischen Ethnologie. 2. Auflage. Berlin: Dietrich Reimer Verlag, 2007 (2001), 169–188.
Schmidt-Lauber, Brigitta: Feldforschung. Kulturanalyse durch teilnehmende Beobachtung. In: Silke Götsch und Albrecht Lehmann (Hg.): Methoden der Volkskunde. Positionen, Quellen, Arbeitsweisen der Europäischen Ethnologie. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Berlin: Dietrich Reimer, 2007, 219–248.
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Internetquellen

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Oberholzer, Manuel: «Die SwitzerLAN 2016 in Zahlen». MYI Entertainment, 28.10.2016 (http://www.myientertainment.ch/single-post/2016/10/28/Die-SwitzerLAN-2016-in-Zahlen, abgerufen: 18.02.2017).
Swiss E-Sports Federation SESF (http://sesf.ch/, abgerufen: 19.02.2017).
Swiss Association for eSports and Gaming SAEG (https://saeg.ch/, abgerufen: 10.02.2017).

Abbildungsverzeichnis

 

Abb. 1: Cover von League of Legends (http://www.gamestar.de/spiele/league-of-legends/cover/44593.html, abgerufen: 20.04.2017).
[1] Wagner 2006, 1.
[2] Ebd., 1
[3] Taylor 2012, 263.
[4] Ebd., 3.
[5] Wagner 2006, 3.
[6] Vgl. Martončik 2015, 208.
[7] Ebd., 208.
[8] Eine LAN (Abkürzung für Local Area Network) oder LAN-Party ist eine Veranstaltung, an der die Teilnehmenden mit Hilfe eines LANs (eines Computernetzwerks innerhalb eines räumlich begrenzten Bereichs) gemeinsam Computerspiele spielen. Oft, aber nicht immer, werden diese Spiele in einer wettbewerbsartigen Form ausgetragen.
[9] Multiplayer Online Battle Arenas (MOBAs) bezeichnen ein Genre von Computerspielen. «[…] MOBAs feature 5-vs-5 competitive matches where each of the ten players selects a champion (or in-game-avatar) to combat before each match starts. Each team consisting of five players has a base to defend and the goal is to attack the opposite teams‘ champions and ultimately destroy the opponent’s base.» (Chen, Sun, El-Nasr und Nguyen 2017, 3).
[10] liquipedia 2017.
[11] Swiss E-Sports Federation SESF 2017.
[12] Swiss Association for eSports and Gaming SAEG 2017.
[13] Oberholzer 2016.
[14] Für eine theoretische Annäherung an das Phänomen E-Sports siehe den Beitrag von Basil Biedermann in diesem Band.
[15] Das League of Legends-Team von mYi besteht nur aus männlichen Spielern, weshalb im Folgenden nur die männliche Form verwendet wird.
[16] Vgl. Schmidt-Lauber 2007 und Schlehe 2008.
[17] Das Training wurde beobachtet, eine aktive Teilnahme war jedoch nicht möglich. Zur Durchführung einer teilnehmenden Beobachtung siehe Lindner 1981 und Schmidt-Lauber 2007.
[18] Oberholzer 2017.
[19] UPC Schweiz ist die grösste Kabelnetzbetreiberin der Schweiz.
[20] Oberholzer 2017.
[21] Ebd.
[22] Ebd.
[23] Ebd.
[24] MYI Entertainment: Unser Team, 2017.
[25] mYinsanity Schweiz: Staff, 2017.
[26] MYI Entertainment: mYinsanity ESports Team, 2017.
[27] mYinsanity International: About us, 2017.
[28] mYinsanity Schweiz: About us, 2017.
[29] Oberholzer 2017.
[30] Ebd.
[31] HearthStone ist ein strategisches Online-Kartenspiel.
[32] Als free-to-play-Games werden Spiele bezeichnet, bei denen den Spieler/innen die grundlegenden Spielinhalte kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Es ist jedoch möglich, dass in einem free-to-play-Spiel kostenpflichtige Zusatzangebote erworben werden können.
[33] Ratan, Taylor, Hogan u.a. 2015, 442.
[34] Watson 2015, 232.
[35] Köhler 2016.
[36] Ratan, Taylor, Horgan u.a. 2015, 442.
[37] League of Legends Wiki 2017.
[38] Ratan, Taylor, Hogan u.a. 2015, 442.
[39] Plusle 2017.
[40] Ebd.
[41] Oberholzer 2017.
[42] Tirizio 2017.
[43] Zum Zeitpunkt des Interviews konnte das League of Legends-Team bereits Erfahrungen auf internationalem Level sammeln. Auf Schweizer Niveau seien sie zwar gut, erzählte Plusle. Es gäbe nur ein Team, das momentan besser sei als sie – im internationalen Vergleich ändere sich das Verhältnis allerdings (Plusle 2017).
[44] Vgl. Flick 2006.
[45] Taylor 2012, 88.
[46] Swissi 2017.
[47] Tirizio 2017.
[48] Swissi 2017.
[49] Ebd.
[50] Taylor 2012, 87.
[51] Taylor 2012, 88.
[52] Ebd., 87 und 88.
[53] Taylor 2012, 88.
[54] Ebd., 88.
[55] Ebd., 90.
[56] Plusle 2017.
[57] Swissi 2017.
[58] Plusle 2017.
[59] Casual Gamer/innen sind Gelegenheitsspieler/innen.
[60] Tirizio 2017.
[61] Taylor 2012, 132.
[62] Tirizio 2017.
[63] Swissi 2017.
[64] Plusle 2017.
[65] Plusle 2017.
[66] Swissi 2017.
[67] Tirizio 2017.
[68] Tirizio 2017.
[69] Taylor 2012, 235.
[70] Dies zeigt sich auch im Bericht über E-Sports und mYinsanity der SRF Sportlounge (vgl. SRF Sportlounge: e-Sport erobert die Welt 2016 und SRF Sportlounge: Die Schweiz: e-Sport-Provinz mit Potential 2016).
[71] Oberholzer 2017.
[72] Swissi 2017.
[73] Swissi 2017.
[74] Vgl. Griffiths und Hunt 1998, Wan und Chiou 2006 in Domahidi, Festl und Quandt 2014, 108.
[75] Swissi 2017.
[76] Vgl. Feld und Carter 1998  in Domahidi, Festl und Quandt 2014, 108.
[77] Kowert, Domahidi, Festl und Quandt 2014, 386, zit. nach Pena & Hancock, 2006; Williams, 2006; Yee, 2006.
[78] Geisler 2009, 171.
[79] Plusle 2017.
[80] Plusle 2017.
[81] Geisler 2010, 172.
[82] Plusle 2017.
[83] Plusle 2017.
[84] Dass Gaming-relevante Fähigkeiten, wie bspw. die Reaktionsgeschwindigkeit, bereits mit 24 Jahren rückläufig werden, belegt auch eine wissenschaftliche Studie mit StarCraft 2-Spielern. (Vgl. Thompson 2014).