Pauline Lüthi

«Anita Sarkeesian?  More Like Anita Suckeesian»

Der Shitstorm-Sarkeesian als Beispiel für verletzende Sprache im Internet

Das Internet wurde ursprünglich als Raum imaginiert, in dem Andersartigkeit gelebt wird und gesellschaftliche Stereotype abgelegt werden können; ein Raum, der sich frei von hegemonialen Macht- und Herrschaftsstrukturen konstituiert: «Identity explodes in multiple morphings and infiltrates the system at root.»[1] Doch auf sozialen Plattformen wie Facebook und Twitter kommt es immer wieder zu negativen Äusserungen über einzelne Personen oder auch Unternehmen, die aufgrund bestimmter Meinungsäusserungen im Internet sanktioniert und blossgestellt werden.[2] Gerade das Internet, das über das Potenzial verfügt, Inhalte innert kürzester Zeit zu verbreiten und zu vervielfältigen, bietet sich für solche Phänomene besonders an.

Ein Beispiel für interaktive Entrüstungen in sozialen Netzwerken sind sogenannte ‹Shitstorms›. Im Duden wird der Shitstorm als ein «Sturm der Entrüstung in einem Kommunikationsmedium des Internets, der zum Teil mit beleidigenden Äusserungen einhergeht»[3] definiert. Folglich ist das Internet ein Ort, so scheint es, wo sich gewaltvolle (Sprech-)Akte besonders schnell und hemmungslos ausbreiten können. Der Shitstorm ist (relativ) anonym und genau in dieser Anonymität liegt auch ein Teil seines gewaltvollen Potenzials. Zweck des Shitstorms ist es, das Ansehen von in der Öffentlichkeit stehenden Personen, Firmen oder Institutionen, und damit deren öffentliches Ansehen, zu schädigen und deren Glaubwürdigkeit zu verringern.[4]

Ein prominentes Beispiel für einen Shitstorm ist der Fall Anita Sarkeesian, der als Grundlage dieser Arbeit dient. Ihre Video-Reihe Tropes vs. Women in Video Games (2012) besteht aus einer fünfteiligen Serie, in der sie sich kritisch mit der stereotypen Darstellung von Frauen in der Populärkultur, vornehmlich Videospielen, auseinandersetzt. Ihre Serie liess Sarkeesian mit einer Kickstarter-Kampagne finanzieren, die bereits nach wenigen Tagen das erforderliche Kapital erspielte.[5] In der Tropes vs. Women in Video Games-Videoreihe prangert Sarkeesian den sexistischen Status quo von Videospielen an – und dies auf eine äusserst witzige Art und Weise. Die Serie konstituiert sich aus einer gründlichen Recherche, aus einer dichten Analyse und einer grossen Portion Sarkasmus. Indem Sarkeesian dem Phänomen auf den Grund geht, entlarvt sie die Tatsache, dass Frauen in Games mehrheitlich als unfähige, hilfsbedürftige Figuren oder als blosse eindimensionale Dekoration fungieren. Dabei geht sie auch auf das verbreitete Motiv der ‹Damsel in Distress› ein. Die Damsel in Distress bezeichnet eine bestimmte Form der Inszenierung, bei der die weibliche Figur von einem männlichen Antagonisten gefangengenommen wird (oder in Bedrängnis gebracht wird) und anschliessend von einem, wiederum männlichen, Protagonisten gerettet werden muss. Die Frau wird dabei als passives Objekt dargestellt, während der Mann als starke, tapfere Figur mit alleiniger Handlungsmacht konstituiert wird. Sarkeesian bespricht die Problematik der medialen Darstellungen von Frauen, aber auch von Minderheiten wie folgt:

«In entertainment media, men are the heroes and stars, the stories are about them and their lives. Women, people of colour, queer folks, and those with disabilities are relegated to the love interest, the sidekick, or just background.»[6]

Ihre feministische Kritik zielt dabei aber nicht bloss auf Frauenthematiken ab, sondern verfolgt eher die Intention, auf Missstände innerhalb von medialen Repräsentationen aufmerksam zu machen.[7]

Anfänglich erntete Sarkeesian von den verschiedensten Seiten überwiegend positives Feedback. Anschliessend wurde sie aber zunehmend Opfer von sexistischen und rassistischen Kommentaren. Ihre Serie wurde innerhalb der Gaming Community kontrovers diskutiert und einer teilweise koordinierten, systematischen Schmähkritik ausgesetzt.[8] Der von Sarkeesian angeprangerte Sexismus wurde von den Gamern als Antwort darauf reproduziert. Der anschliessende Aufruf zur Schmähung der öffentlichen Person Sarkeesian entwickelte sich zu einer dynamischen, eskalierenden Gewaltsamkeit. Dieses Phänomen scheint ein Indikator für die Tatsache zu sein, dass gerade Auseinandersetzungen, die sich mit Sexismus beschäftigen, besonders diejenigen Personen anziehen, die sich dadurch angegriffen fühlen: die Sexisten selbst. Denn durch die (feministische) Dekonstruktion traditioneller Game-Narrative können sich offensichtlich einige Gamer persönlich angegriffen und in ihrem Territorium bedroht fühlen.

Ich selbst kam früh in Kontakt mit Anita Sarkeesian und verfolgte ihre Videoserien mit einem grossen Interesse, nicht zuletzt aufgrund meines Interesses an feministischen Themenfeldern. Ihre Analyse war für mich überzeugend und stimmig, wohl gerade deshalb irritierte der Shitstorm-Sarkeesian. Der Hass, den Sarkeesian mit ihren Beiträgen erntete, die vielen negativen, beleidigenden Kommentare, waren im wahrsten Sinne des Wortes gewaltig. Der verletzende Duktus der Sprache, der im Grunde wenig mit der eigentlichen Thematik zu tun hatte, sondern mehr auf einen Angriff auf das Frau-sein und den Feminismus per se abzielte, liessen verborgenes sexistisches Gedankengut zu Tage treten.

In diesem Beitrag möchte ich nun diesen Shitstorm analysieren. Dabei interessieren mich einerseits die Sprechakte, sowie deren Qualitäten und Argumentationsebenen. Andererseits soll geklärt werden, welche Vorstellungen von Geschlecht(lichkeit) dahinter verborgen sind. Zu guter Letzt soll gefragt werden, welches Handlungspotenzial Adressaten/innen eines Shitstorms bleibt.

Anonymität und Sichtbarkeit in der Transparenzgesellschaft

Bevor ich den konkreten Shitstorm-Sarkeesian untersuchen werde, möchte ich eine theoretische Grundlage zur aktuellen Internet-Gesellschaft liefern und diese im Kontext von Machtstrukturen diskutieren. Mit dem Begriff der ‹Transparenzgesellschaft› beschreibt der Kulturwissenschaftler Byung-Chul Han eine Tendenz internetaffiner Gesellschaften, alles sichtbar und zugänglich zu machen. Damit verbunden ist das Phänomen, dass Intimität zunehmend öffentlich ausgestellt wird, und auch das Private ‹öffentlicher› wird.[9] Diese Ausführungen sind naheliegend, können doch Fotos in Windeseile auf sozialen Plattformen wie Instagram geteilt, Intimes wie der Beziehungsstatus auf Facebook mit einem Klick gewandelt und politische Meinungen auf Twitter unbedacht in die Welt gesandt werden. Grenzen zwischen Privatem und Öffentlichen verwischen, die öffentliche Kommunikation im Internet ist geprägt von einer zunehmenden Distanzlosigkeit und Anonymität. Dieser schwindende Abstand, die räumliche Distanzlosigkeit und Anonymität, gehe, so Han, mit einem Abbau mentaler Distanzen, einer Reduktion von Anstand und Respekt einher.[10]

Dies erklärt wohl auch den von Han festgestellten pornographischen Charakter der Transparenzgesellschaft, die auf Äusserlichkeiten fokussiert ist. Wie im Pornographischen wird ausnahmslos alles gezeigt, Fantasie wird überflüssig, laut Han wird hier alles enthüllt. Dabei handelt es sich aber nicht um eine Befreiung. So greift Han das Konzept des Panoptikums auf, wobei er auf die panoptische Struktur heutiger Kommunikationssysteme verweist, womit Kontrolle und Macht angesprochen werden. Doch weist er auf einen grundlegenden Unterschied hin: «Während die Insassen des Benthamschen Panoptikums sich der permanenten Präsenz des Aufsehers bewusst sind, wähnen sich die Bewohner des digitalen Panoptikums in Freiheit.»[11] In der heutigen Internet-Gesellschaft wird nach wie vor permanent kontrolliert (und damit einhergehend auch Macht ausgeübt), doch die Subjekte entziehen sich selbst der Machteinwirkung, da sie sich hinter der Anonymität verstecken können. Hans Konklusion ist eine düstere, dystopische:

«Die Transparenzgesellschaft ist eine Gesellschaft des Misstrauens und des Verdachts, die aufgrund des schwindenden Vertrauens auf Kontrolle setzt. Die lautstarke Forderung nach Transparenz weist gerade darauf hin, dass das moralische Fundament der Gesellschaft brüchig geworden ist, dass moralische Werte wie Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit immer mehr an Bedeutung verlieren. An die Stelle der wegbrechenden moralischen Instanz tritt die Transparenz als neuer gesellschaftlicher Imperativ.»[12]

Hans Ausführungen sind für diese Betrachtungen von besonderem Interesse und stehen in direktem Kontrast zu früheren utopischen Vorstellungen des Internets als liberalen Möglichkeitsraum. Diese Kombination aus Anonymität, Respektlosigkeit und Obszönität bietet perfekte Gegebenheiten, damit ein Phänomen wie ein Shitstorm überhaupt entstehen kann.[13] Beim Shitstorm wird dieses Geflecht noch komplexer, da einerseits die Sprecherin oder der Sprecher in seiner Identität anonym bleiben kann und anderseits der Shitstorm nicht als ein einheitliches Ganzes auftritt, sondern als zerstückeltes Phänomen, was eine gefährliche Dynamik annehmen kann.[14] So ist der Shitstorm gewaltsam und distanziert zugleich. Das gewaltvolle Potenzial eines Shitstorms liegt darin, dass sich die Akteure hinter der Anonymität verstecken können. Während die Prozesse, die bei einem Shitstorm ablaufen, verhüllt bleiben, werden die Auswirkungen dafür umso direkter und expliziter. Das Internet ist, wie die Kulturwissenschaftlerin Sylvia Pritsch darlegt, trotz zunehmendem Bewusstsein über Sexismus und Ungleichheiten, ein sozialer Raum, der sexistische, rassistische und andere diskriminierende Strukturen aufweist und ein gewaltvolles Potenzial in sich birgt.[15] Diese Gedanken dienen als Basis für die Erfassung des Shitstorms innerhalb der vom Internet geprägten Gegenwart.

Verletzende Sprache als Gewaltakt im Shitstorm

Neben dem eigentümlichen Verhältnis von Sichtbarmachung und Anonymität kommt aber auch Sprechakten eine zentrale Bedeutung zu. Für deren Verständnis dienen die theoretischen Erkenntnisse Judith Butlers als Grundlage.[16] Unter Rückgriff auf die Sprechakttheorie von J. L. Austin diskutiert Butler die ‹Hate Speech›, um zu einer allgemeinen Theorie der Performativität des politischen Diskurses zu gelangen.[17] Ihre Theorie ist für diese Analyse deshalb von Bedeutung, da die verletzende Rede die zentrale Ausdrucksform von Shitstorms ist. In mehrfacher Hinsicht wird eine verbale Äusserung so zum Akt der Gewaltausübung. Butler hält fest:

«Das Problem des verletzenden Sprechens wirft die Frage auf, welche Wörter verwunden und welche Repräsentationen kränken, wobei wir zugleich angewiesen sind, unsere Aufmerksamkeit auf die geäusserten, äusserbaren und ausdrücklichen Aspekte der Sprache zu konzentrieren. Allerdings ist die sprachliche Verletzung offenbar nicht nur ein Effekt der Wörter, mit denen jemand angesprochen wird, sondern ist der Modus der Anrede selbst, ein Modus – eine Disposition oder eine konventionelle Haltung –, der das Subjekt anruft und konstituiert.»[18]

In Anlehnung an Han kann festgestellt werden, dass die konstituierende, verletzende Anrede in einem anonymen Raum deutlich leichter fällt, als in einem Raum, in dem man sich als wahrnehmbares Subjekt zu erkennen geben muss. In der Anonymität kann man sich als Subjekt der Machteinwirkung entziehen, man ist nicht identifizierbar und dementsprechend auch nicht sanktionierbar. Ein verletzender Youtube-Kommentar wird bspw. für den Urhebenden kaum Folgen nach sich ziehen, da sich dieser hinter der Anonymität verstecken kann. Es handelt sich hier um ein Spiel mit den Grenzen des Privaten und des Öffentlichen – um ein Machtspiel, bei dem gewisse Subjekte Macht ausüben und sich aber selbst dieser Macht entziehen.

Bei einem Sprechakt definiert gerade die Anrede das adressierte Subjekt und begründet dieses sogar: «Die Anrede selbst», bemerkt Butler, «konstituiert das Subjekt [innerhalb des möglichen Kreislaufs der Anerkennung] oder umgekehrt, ausserhalb dieses Kreislaufs, in der Verworfenheit.»[19] Shitstorms sind immer in die Normativität der Sprache eingebunden und entwerfen dementsprechend auch immer einen Raum (des Verwerflichen). Der Name, mit dem das Subjekt nun adressiert wird, benennt es nicht nur, sondern, je nach Form der Adressierung, vermag er es auch zu erniedrigen und herabzusetzen.[20] Diese sprachtheoretische Perspektive enthüllt also eine spezifische Verletzbarkeit im Netz, die sich gerade im Akt der Adressierung zeigt und manifestiert. Illustriert seien diese Ausführungen durch folgenden Kommentar auf Sarkeesians Videoreihe von User surfer64:  «This bitch belongs on the mattress face down ass up. That’s all she’s good for.»[21], in dem gleich mehrere Züge der verletzenden Sprache deutlich werden.

Weiter bemerkt Butler, dass, wenn wir das Ausmass der Verletzung – beziehungsweise die Funktionsweise der Macht – in diesem Sprechakt analysieren, es nicht genügt, nur den Kontext für diesen fraglichen Sprechakt festzulegen, denn «[…] die Sprechsituation ist keine blosse Spielart des Kontextes, der einfach durch sprachliche und zeitliche Grenzen zu definieren wäre»[22]. Denn in dem Moment, wo wir durch den Sprechakt verletzt werden, wird uns im selben sogleich der Kontext entzogen. Gerade darin, so argumentiert Butler, könnte das besonders verletzende Potenzial liegen: der Adressat/die Adressatin wird seiner/ihrer Selbstkontrolle beraubt.[23] Gerade durch sexistische Kommentare, die Sarkeesian auf einen bestimmten Platz verweisen sollen (vgl. «[…] on the mattress face down ass up»), wird sie implizit ‹umplatziert› und ihrer Rolle als Journalistin und Medienkritikerin beraubt. Die Adressierung kann also ein Kontext schaffen, durch den verschiedene Angriffe überhaupt erst möglich werden. Dazu Butler:

«In diesem vernichtenden Augenblick wird gerade die Unbeständigkeit des eigenen ‹Ortes› innerhalb der Gemeinschaft der Sprecher sichtbar. Anders gesagt: Man kann durch dieses Sprechen ‹auf (s)einen Platz verwiesen› werden, der aber möglicherweise gar keiner ist.»[24]

Die Diffamierungsstrategien funktionieren wie folgt: Die Opfer werden adressierbar gemacht (oder sind es bereits), und in dem Sinne auch lokalisierbar gemacht, während die Täter/innen sich selbst einer möglichen Adressierung verweigern (indem sie bspw. Pseudonyme als User-Namen verwenden) und so aus der privilegierten Position der Anonymität sprechen können. Die Pseudonyme der User lassen jegliche Zuordnung aus. Dazu kommt, dass sich diese User nur in Form von Kommentaren positionieren und sichtbar machen.

Anita Sarkeesian hingegen ist in ihren Videos wahrhaftig sichtbar und bietet so verschiedene Angriffsflächen, von Aussehen, über die Stimme usw. Butler argumentiert, dass sich jeder Realitätsbezug, gerade wegen seiner Zitatförmigkeit, immer auf diskursive Normen beziehen muss.[25] Das heisst nun, dass sich jeder Realitätsbezug nur in einem Feld bewegen kann, in dem sich bereits existierende Symboliken und Semantiken akkumulieren. Auch der Shitstorm bewegt sich folglich in einem Gebiet, das normierend und regulierend funktioniert.

Die verletzenden Worte können im Shitstorm aber nicht bloss auf ihre Wirkung reduziert werden. So hat auch die Rechtfertigung keine Substanz, dass es ‹nur› Worte seien und es sich lediglich um eine Provokation handle. Die verletzenden Sprechhandlungen bedienen damit nämlich ein symbolisches Machtspiel in der Deutungshoheit über Geschlechterbilder und deren Rolle für Computerspiele und die Gesellschaft als Ganzes. Ein an Sarkeesian gerichteter Kommentar auf Youtube ist also mehr als eine pubertäre Verletzung, steht er doch in einem grösseren kulturellen Zusammenhang, der tiefe Einblicke in eben diesen erlaubt. Das heisst, dass auch diese Debatte Gegenstand des westlichen Gender-Diskurses ist. Die Gamergate-Bewegung[26], die anfänglich noch als übliche Empörungswelle zu verorten war, erhielt mit Anita Sarkeesian und deren Videoreihe eine komplett neue Dimension: Negative Äusserungen schlugen in gewaltvolle, sexistische und erniedrigende Drohungen um.[27] Nach welchen Mechanismen diese Verletzungen operieren, soll im Folgenden gezeigt werden.

Eine Reise in den Shitstorm-Sarkeesian

Wenden wir uns nun konkret dem Shitstorm-Sarkessian zu. Als Analysematerial diente mir die vollständige Video-Reihe Sarkeesians sowie das Video Feminism vs. Facts (2013).[28] Die Kommentare, die sich zu diesen Videos häufen, sind äusserst ‹gewaltsam›. In der genauen Inhalts- sowie Stilanalyse kristallisierten sich sechs Charakteristika heraus, die im Folgenden kurz erläutert werden. Dabei wird fokussiert, welche Sprechweisen angewandt werden und worauf sie abzielen.

Glaubwürdigkeit untergraben

Häufig wird das intellektuelle Niveau bzw. Fachwissen der Adressatin angezweifelt oder ins Lächerliche gezogen: «Awe so cute, she took a sociology class, so now she has figured out the world and its deep secrets.»[29] Die Sprachhandlung bewegt sich hier zwischen einer behauptenden und abwertenden. Dieses Beispiel verdeutlicht, wie Anita Sarkeesian von diesem User auf ‹ihren› Platz verwiesen wird – und dieser Platz lokalisiert sich nicht in der Gamer-Domäne. In solchen Äusserungen geht es darum, die Glaubwürdigkeit der Adressatin zu schmälern und sie ihrer (autonomen) Macht zu berauben. Die Struktur der Äusserung führt eine gewisse Hierarchie ein: Die Adressatin wird von dem User belächelt und sie wird auf ihr Geschlecht und die damit verbundene ‹Dummheit› reduziert. Es geht darum, ihr Wissen abzuwerten und sie als Dummerchen abzutun, das sich hier in einem (politischen) Spielfeld bewegt, wo es nichts zu suchen hat.

Herabsetzung zum Sexobjekt

Als zweite Charakteristik lässt sich der sexualisierende Sprachegebrauch ausmachen: «Anita is just a cancer. She has no idea about actual misogyny or sexism, send her to Islam and see what she says when she gets back. Suck my dick stupid feminist.»[30] Diese Ebene ist besonders gewaltsam und am wenigsten Kontext-bezogen. Die dominierende Sprachhandlung ist hier eine drohende. In diesem Beispiel wird nicht nur ein gewaltvoller Sexismus, sondern auch Rassismus deutlich. Es sind implizite Gewaltandrohungen, die sich stark auf die Körperlichkeit, die Sexualität und teilweise auch auf die Nationalität beziehen. Daneben ist der Einsatz von Metaphern besonders frappant sowie die Verwendung des Vornamens als direkte Anrede, was den ganzen Angriff noch viel persönlicher macht.

Geschlechterstereotype vertreten

Die dritte Argumentation manifestiert sich in einer sexistischen Sprache und einem sexistischen Werte- und Normensystem. In diesen Aussagen wird die Ungleichheit zwischen Mann und Frau, die gerade in diesem sprachlichen Diskurs wiederum reproduziert wird, besonders deutlich. Hier ist der Duktus entweder ein behauptender, ein erklärender oder ein drohender: «This reminds me of what an old MRA friend of mine used to say: Men DO things; women complain that things aren›t being DONE.»[31] Es wird deutlich, dass bei dieser Argumentationsstrategie stets das binäre Geschlechtermodell reproduziert wird und weiter auch als Hilfsmittel für die Argumentation beigezogen wird. Klassische normierende Geschlechter- und Rollenverhältnisse werden zum Ausdruck gebracht: Die Frau wird als das schwache, hilfsbedürftige Geschlecht abgetan. Wiederum kommt es hier zu einer Reproduktion von Geschlechterstereotypen seitens der User, was Anita Sarkeesian ursprünglich genau bekämpfen wollte. Auffällig ist hier ausserdem, wie sich in dieser Argumentation der Sprecher selbst inszeniert und als ‹überlegenes› Geschlecht aufspielt und sich folglich Macht selbst zuspielen will. Während die eigene, männliche Sexualität als selbstverständlich bewertet wird, wird die Sexualität der Frau oft im Kontext von ‹Heilige und Hure› diskutiert.

Feminismus anprangern

Die vierte Form der Argumentation zeichnet sich dadurch aus, dass auf dieser Ebene besonders der Feminismus als Zielscheibe des Shitstorms fungiert. Hier wird nicht zwingend die Gegnerin persönlich angegriffen, sondern der Feminismus per se wird als Feindbild betitelt und kategorisch abgelehnt. Es ist also eine deutliche antifeministische Argumentation. Hier ist die dominierende Sprachhandlung eine behauptende oder eine drohende: «I swear, feminists are such genderbaiting hatemongers. Everything becomes a gendered issue with these people. Instead of man & woman, it’s become man vs. woman.»[32] In dieser Argumentation kommen Fragen von Territorium und Rollenverhältnissen ins Spiel. Das, was scheinbar bedrohlich wirkt, wird diffamiert. Durch Werturteile über die Adressatin gewinnen die User vermeintlich Macht. So scheint für viele User schon der blosse Umstand, dass Sarkeesian als Frau in einem männlich dominierten Raum ihre kritischen Ansichten äussert und sich für eine Auflösung (oder zumindest für eine Loslösung) von traditionellen und stereotypen Geschlechter- und Rollenverhältnissen stark macht, Grund genug, die Adressatin mit dem verletzenden Sprechakt anzugreifen und sie auf ihren Platz zu verweisen.

Diejenigen, die beleidigen, erleben ein Machtgefühl, eine Empfindung, dass sie mit ihren Aussagen etwas ‹bewirken›, was ihnen, zumindest für einen Moment, ein Gefühl der Macht verschafft. Einerseits wird hier von einer Art Genderwahn gesprochen, von einem Diskurs der völlig überwertet und unnötig sei, und damit einhergehend, von einer Gleichmacherei, die laut bösen Zungen überwertet oder bereits schon erreicht sei. Andererseits manifestieren die User mit ihren Kommentaren, die auf eine Abwertung der Adressatin sowie deren Rolle und Selbstbestimmungsfreiheit in der heutigen Gesellschaft zielen, ein patriarchal dominiertes Werte- und Normensystem.

Gamer-Expertise in Frage stellen

Die Argumentation erfolgt auf einer vermeintlich sachlichen Ebene. Die Argumentation hat hier, im Gegensatz zu den anderen Strategien, einen scheinbaren Gehalt. Die User bringen hier ihr fachspezifisches Wissen ins Spiel und die Sprache ist erheblich neutraler. Hier wird bspw. argumentiert, dass das Damsel in Distress-Motiv nicht per se misogyn sei, dass grundsätzlich die Geschlechterdarstellung in Games nicht stereotyp oder misogyn sei, oder dass die Identifikation eines Spielers/einer Spielerin mit einer Figur nicht zwingend über das Geschlecht laufen müsse:

«Has this woman ever played metroid? any of the elder scrolls? Fallout series? open world games? really. metroid has Samus (a female) as the main character, Skyrim you get to choose in, and despite such is still full of semi badass women (all the NPC ai is a little goofey), Fallout 3 you still get to choose, and the wasteland is full of asshole raiders, some of which are women.»[33]

Aber auch hier wird deutlich, dass der Duktus eben nicht bloss erklärend ist, sondern im selben Zuge auch wertend und verweisend. Ihre fachliche Kompetenz wird auch in diesen Kommentaren stets angezweifelt, ja sogar bombardiert. Schon im ersten Satz geschieht eine Abwertung, indem Anita Sarkeesina nur als ‹this woman› bezeichnet wird. Daneben wird versucht, die breit abgestützte Analyse von Sarkeesian mit wenigen Beispielen zu kippen.

Bewertung von Äusserlichkeiten

Der Angriff erfolgt in Form einer Diffamierung des Erscheinungsbildes der Gegnerin. Auch diese Ebene hat wenig mit Sarkeesians Kritikpunkten und Forderungen zu tun, sondern fixieren die Beleidigungen einzig ihr Aussehen. Hier dominiert eine behauptende und drohende Sprachhandlung: «What is the deal with her eyebrows? Looks like she got a set of stick-on-eyebrows from the $1 store.»[34] In diese Sparte fallen auch die besonders rassistischen Kommentare. Diese Aussage ist ein Beispiel, wie Sarkeesian auf ihre äusserliche Erscheinung reduziert wird. Die Kritikpunkte, die Sarkeesian in ihren Videos äussert, bspw. das sexualisierte Äussere von Game-Figuren, feuern die User in dieser Argumentation auf Sarkeesian selbst zurück. Die User versuchen bei dieser Argumentationsform der Gegnerin das Recht auf körperliche und äusserliche Selbstbestimmtheit zu nehmen.

Dies ist leider eine oft verwendete Argumentationsstrategie, wie bspw. vergewaltigten Frauen auch oft vorgeworfen wird, dass sie selbst Schuld seien, weil sie die Männer willentlich oder unwillentlich aufgereizt hätten.[35] Solche Begründungen sind haarsträubend und versetzen die Frau wiederum in die Rolle des naiven Dummerchens, das vor allem mit ihrem Aussehen gefallen will. In dieser Argumentation findet also eine doppelte Entwertung statt; die Frau als Schuldige und die Frau als Opfer.

Sprechakte im Shitstorm-Sarkeesian

Nach Einordnung aller visionierten Kommentare, konnte ich eine klare Tendenz zu sexistischen und antifeministischen Meinungsäusserungen ausmachen. Sachliche, faktbezogene Äusserungen existieren kaum. Die Sprache ist in den Kommentaren überwiegend gewaltsam und die dominierende Sprachhandlung ist entweder eine behauptende oder eine drohende oder tritt in Form einer Pseudo-Ironie ans Licht.

Gerade auf der Ebene der sexistischen und antifeministischen Argumentation wird deutlich, dass Sarkeesian im Diskurs oft nicht als Individuum, als Subjekt, angesehen wird, sondern eher als Teil eines feministischen Kollektivs, das kategorisch abgelehnt wird. Sarkeesian fungiert an dieser Stelle als Verkörperung des Feindbilds und die User lassen ihrer Unzufriedenheit gegenüber dem Feminismus freien Lauf. Sarkeesian wird nicht als ebenbürtiges Gegenüber wahrgenommen, geschweige denn als Expertin. Sie wird auf ihr Geschlecht oder auf ihr feministisches Anliegen reduziert und in diesem abermals angegriffen. Die Kritikpunkte, die sie äussert, werden von den ‹Hatern› im Gegenzug fast schon als trotzige Reaktion reproduziert, wodurch sie sich wiederum verankern.

Die Frage nach dem Geschlecht spielt also insofern eine Rolle, als gerade Frauen mit feministischen oder anderen politischen Anliegen, verstärkt Zielscheibe solcher Shitstorms werden. Denn gerade der Versuch, klassische Geschlechterverhältnisse oder auch heteronormative Rollenmodelle zu dekonstruieren und zu kritisieren, wird leider von vielen als Normüberschreitung ausgemacht und folglich sanktioniert. Durch Bedienung hegemonialer Geschlechterstereotypen wird versucht, die Adressatin festzuschreiben und auf ‹ihren Platz› zu verweisen.[36]

Diese Vorstellung seitens des Sprechenden von ‹an-einen-Platz-gehören› ist eng mit Wert- und Normvorstellung des weiblichen Geschlechts verbunden. Die User wollen den Status quo vom Gamen als männlich dominierte Domäne erhalten und die Frau im Gegenzug aus dieser Domäne verweisen, zurück an den Herd oder ins Bett, wo sie hingehört. Dabei wird gerade die feministische Position Sarkeesians zum Feind. So schreibt ein User bspw.:

«Feminism is only believed by women with a very slow processing brain that believe their own idiotic thoughts. That’s why so many women have given up on «believing» in it in the last year because the points are completely contradictive and actually sexist so ….. Fuck feminism bullshit!!»[37]

Die Kritik Sarkessians an bestehenden Geschlechterverhältnissen und Stereotypen, bzw. deren Sichtbarmachung, bringt die bestehende (gesellschaftliche) Ordnung nämlich kurzzeitig ins Wanken. Durch die Angriffe der User wird Sarkeesian diese Macht wieder genommen und die ursprüngliche Ordnung restabilisiert. Dazu sei auch auf das titelgebende Zitat verwiesen: «I think this feminist bitch is a retard. she is clearly overthinking everything about games. anita sarkeesian? more like anita suckeesian lolololol.»[38]

Wirkmacht von Sprechakten im Shitstorm

Eine grosse Problematik bei einem grundsätzlichen Sprechakt ist, dass das Sprechen eben nicht nur ein soziales Herrschaftsverhältnis wiederspiegelt, sondern im selben Zuge inszeniert es diese Herrschaft wiederum und wird damit zum «Vehikel der Wiederherstellung der gesellschaftlichen Struktur»[39]. Dies ist also auch für diesen konkreten Shitstorm von Bedeutung. Im Moment der hasserfüllten Äusserungen gegen Sarkeesian wird eine gesellschaftliche Struktur artikuliert, eine gesellschaftliche Struktur, die Sexismus, Rassismus und Misogynie nicht nur zulässt, sondern mehr noch, durch die Duldung fördert. Sarkeesian erklärt diese Auswirkungen selbst wie folgt:

«The end result […] is maintaining and reinforcing and normalizing a culture of sexism where men who harass are supported by their peers and rewarded for their sexist attitudes and behaviors and where women are silenced, marginalized and excluded from full participation.»[40]

Durch Beleidigungen und Angriffe feministischer und sexistischer Art wird Sarkeesian nicht nur selbst angegriffen. ‹Hater› erfahren in dieser Dynamik des Shitstorms Rückhalt von anderen Hatern und werden dadurch in ihren Ansichten gestärkt. Die verletzende Rede kann also als sprachliche Reartikulation und Reproduktion gesellschaftlicher Herrschaft bezeichnet werden und fungiert so als Schauplatz einer mechanistischen, voraussagbaren Reproduktion von Macht.

Bei dem Shitstorm-Sarkeesian können wir aber noch einen Schritt weitergehen: Die Empörungen, denen sich Sarkeesian ausgesetzt sah, beschränkten sich nicht nur auf Sprechakte, sondern schlossen auch weitere Formen verletzender Akte ein.

Etliche Memes begannen zu zirkulieren (siehe Abb. 1), ihre Wikipedia-Seite wurde mit pornographischen Seiten verlinkt und es wurde sogar ein Spiel erfunden, bei dem man Sarkeesian per Mausklick ‹physischen› Schaden zufügen konnte.[41] Während sich bei den Kommentaren die Gewalt auf den Sprechakt beschränkt, so kommt bei dem erwähnten Spiel eine weitere Ebene hinzu, nämlich die des aktiven Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht.

Abb. 1: Verletzende Sprache in Form von Memes.

«The Cyber Mob Failed to Silence Me»

Nachdem wir gesehen haben, in welcher Form sich der Shitstorm manifestiert und wie dessen Duktus strukturiert ist, gilt es nun der Frage nachzugehen, ob es eine Form von ‹Bewältigung› gibt. Unterbinden oder zensieren des Shitstorms ist aus zweierlei Gründen ein Ding der Unmöglichkeit: Erstens ist das Netz nicht zu kontrollieren und einzudämmen. Wird eine bestimmte Webseite verboten, oder ein Kommentar gelöscht oder gemeldet, so schiesst schon im Zuge der Sperrung an einer anderen Stelle etwas Neues hervor. Zweitens wird in Internetforen die Meinungs- und -Äusserungsfreiheit geradezu zelebriert und als höchstes Gut gesetzt, und der Ansatz vertreten, Konflikte lösen zu können.

Wie wir nun aber gesehen haben, erfolgt bei einem verletzenden Sprechakt die Verletzung einerseits verbal und anderseits in dessen Folgen. Sie beschränkt sich also nicht auf die blossen Worte, sondern umfasst auch deren Auswirkungen. Diese Folgen können aber, und hier knüpfe ich an Butler an, für die Adressatin selbst auch ein positives Potenzial bergen, denn je nach Umgang kann die Adressatin ihre Macht zurückerobern. Butler dazu:

«Die Verdoppelung des verletzendes Sprechens findet nicht nur in der Rap-Musik und in den verschiedenen Spielarten der politischen Parodie statt, sondern auch in der politischen und gesellschaftlichen Kritik an diesem Sprechen, in der das ‹Anführen› der verletzenden Ausdrücke für die jeweils vorgetragene Beweisführung von zentraler Bedeutung ist.»[42]

Es kann also für die Adressatin oder den Adressaten hilfreich sein, diese verletzenden Äusserungen als solche zu benennen und als solche zu veröffentlichen. Durch die (Re-)Präsentation der verletzenden Akte kann die Adressatin der Gesellschaft bestimmte Missstände vor Augen führen, die nach wie vor in dieser verankert sind. Auch für Sarkeesian ergibt sich durch die Präsentation dieser verletzenden Äusserungen eine Möglichkeit, ihre Macht zurückzugewinnen. Indem sie die Kommentare auf ihrer eigenen Webseite Feminist Frequency freischaltete, konnte sie die Äusserungen in ihrem Sexismus und ihrem gewaltvollen Gehalt festhalten und so das Bewusstsein für deren brutalen Inhalt schärfen. Butler bemerkt also korrekt, dass in der (Re-)Präsentation auch eine Form von Wiederstand bestehen kann. Daneben ist anzumerken, dass Sarkeesian mit ihrer Videoserie aber auch viel positives Feedback erntete. Gerade an Universitäten und Schulen erreichten ihre Projekte grosse Beachtung. Zudem war die ganze Debatte in den Medien sehr präsent, was sich auch positiv auswirkte. Einerseits wurde dadurch der Sexismus thematisiert und offengelegt und andererseits gewann die Problematik weiblicher Figuren in Spielen sehr viel Rückenwind.[43]

Obwohl ein oft zitierter Satz im Netz ‹Do not feed the trolls› lautet, haben wir im Beispiel von Anita Sarkeesian gesehen, dass durch die abweichende Reproduktion ein Sprechakt von seinen Konventionen, die ihn stützen, abgelöst und so seiner verletzenden Wirksamkeit beraubt werden kann.[44] Durch die mediale Debatte und die damit einhergehende Popularität, hat Sarkeesian wiederum Macht erhalten. Die Hater wollten Sarkeesian Macht nehmen, aber die Tatsache, dass sie eine derartige Plattform erhielt (auch wenn diese sehr schmerzhaft war), hat sie in ihrer Position nur noch gestärkt. Sarkeesian äusserte sich in TEDxWomen 2012 selbst sehr zuversichtlich dazu:

«The Cyber mob failed to silence me. And it turns out that quite a few people are actually interested in a project that would deconstruct the representations of women in games. And who were totally outraged at the harassment that too often plugs our gaming communities. I actually raised 25 times what I initially asked for. […] Feminist Frequency went from a part-time side job to a fulltime endeavor. I received countless messages of support and words of encouragement. […] The overwhelming support I received is just a small manifestation of the larger cultural shift illuming on the horizon. A growing cross section of gamers and game developers of all genders are fed up with the way women are being treated in gaming culture and they are speaking up to demand change. Now this change is happening slowly and kind of painfully but it’s happening. Everyday I’m encouraged by the women who persevere, who continue to engage and who refuse to be silenced. I truly believe that if we work together we can create a cultural shift where women without fear of intimidation, without fear of threats and harassment can be full and active participants in our digital world.»[45]

Sarkeesian verfolgt nach wie vor ihre feministischen Anliegen und lässt sich von negativen Stimmen und der verletzenden Sprache im Internet nicht von ihren Projekten abhalten.

Fazit

Wenn man sich im Diskurs des Shitstorms bewegt, scheint es, dass besonders Beiträge und Äusserungen von Personen, die sich mit geschlechterpolitischen und kritischen Inhalten auseinandersetzen und bestehende Geschlechtermodelle und Rollenmodelle in Frage stellen, eine besondere Anfälligkeit aufweisen. Auch im Netz sind die latenten Kräfte der heteronormativen, zweigeschlechtlichen Ordnung stets spürbar. Die kritische Stimme muss sich also nach wie vor gegen eben jene Kräfte durchsetzen. Folglich lässt sich auch das Internet als Raum verstehen, der sanktionierend gegen Feministinnen vorgeht, gerade deshalb, weil Feministinnen normative Rollenverhältnisse hinterfragen und im Weiteren auch dekonstruieren. Da von vielen die digitale Welt, und die Gamer-Domäne im Besonderen, als Bereiche verstanden werden, die traditionellerweise eher als maskulin gelten, wird die geäusserte Kritik oft als Grenzüberschreitung verstanden.

Die anfängliche These, dass Shitstorms unter anderem daran beteiligt sind, dass konventionelle Geschlechterstrukturen auch im Netz reproduziert und eine geschlechterspezifische Okkupation öffentlicher und medialer Räume stattfindet, kann zu einem gewissen Punkt bejaht werden. Trotzdem hat der Shitstorm-Sarkeesian auch viel Positives mit sich gebracht: Durch die Sichtbarmachung des Sexismus und durch die Reflexion dieses hegemonialen Diskurses sind Schwachstellen der Gesellschaft offengelegt worden und können dadurch angegangen werden.

Mit einer spezifischen Shitstorm-Analyse im Kontext der #gamergate-Kontroverse habe ich gezeigt, dass im Beispiel des Shitstorm-Sarkeesian die Sprechhandlungen destruktiver und verletzender Natur sind und dass die meisten davon als antifeministische und sexistische Meinungsäusserungen identifiziert werden. Im Netz wird also eine spezifische Form sprachlicher Gewalt ausgeübt, indem durch die Macht der Sprache Menschen auf ihren Platz verwiesen werden und schliesslich auch enteignet werden können. Beruhen die verletzenden Sprechakte nicht ‹nur› auf sprachlichen Äusserungen, sondern kommt auch noch eine zweite Ebene dazu, nämlich diejenige des aktiven Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte, so wird die Verletzung zu einer mehrdimensionalen und auch tiefer greifenden. Die Adressatin oder der Adressat kann durch (Re-)Präsentation und folglich auch durch eine Rekontextualisierung der Sprechhandlungen Sexismus, Antifeminismus und Rassismus offenlegen und folglich auch anfechten. Dies festigt sie/ihn wiederum in ihrer/seiner eigenen Position oder gibt ihr/ihm einen Teil der verlorenen Macht zurück. Als Bewältigungsstrategie und als Strategie, die eigene Macht zurückzugewinnen, bietet sich so also die Repräsentation bzw. die Rekontextualisierung sehr schön an.

Am Shitstorm-Sarkeesian wird deutlich, dass Sexismus leider nach wie vor tief in der Gesellschaft verankert ist und gerade im Netz, durch die Anonymität, sogar noch begünstig wird. Eine konkrete, richtige Verhaltensstrategie und eine pauschalisierende Antwort gibt es dabei nicht, denn jede Person geht unterschiedlich mit Kritik um. Klar scheint, dass das Netz sich als Raum konstituiert, in dem es Menschen leichter fällt, sich abwertend zu äussern, wobei das ganze Phänomen durch eine gewisse Gruppendynamik noch unterstützt wird.

Der Shitstorm kann aber durchaus auch als Möglichkeit gedacht werden. Als Möglichkeit in dem Sinne, da er über das Potenzial verfügt, hinter den schönen Schein der erwünschten Normen zu blicken und zu erkennen, wo tiefgreifende und grundlegende Probleme liegen, wo Aufklärungsarbeit von Nöten ist und wo eben unsere Gesellschaft genau noch nicht so weit entwickelt und emanzipiert ist, wie dies gern behauptet wird. Mit Han gelesen kann der Shitstorm folglich Transparenz schaffen, indem ein Tabu aufgehoben wird.

Quellenverzeichnis

Audiovisuelle Quellen

Sekundärliteratur

  • Butler, Judith: Performative Akte und Geschlechterkonstitution. Phänomenologie und feministische Theorie. In: Uwe Wirth (Hg.): Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2002, 301–322.
  • Butler, Judith: Hass spricht. Zur Politik des Performativen. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2006 (1997).
  • Butler, Judith: Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts. Berlin: Verlagsgesellschaft mbH & CoKG, 1995 (1993).
  • Eickelmann, Jennifer: Mediatisierte Missachtung und die Verhandlung von Gender bei Empörungswellen im Netz. Der Fall Anita Sarkeesian. Onlinejournal Kultur & Geschlecht #13 (2014, https://kulturundgeschlecht.blogs.ruhr-uni-bochum.de/wp-content/uploads/2015/08/eickelmann_missachtung.pdf, abgerufen: 10.02.17).
  • Fox, Jesse und Wai Yen Tang: Sexism in Online Video Games: The Role of Conformity to Masculine Norms and Social Dominance Orientation. In: Computers in Human Behavior, 33. 2014, 314–320.
  • Han, Byung-Chul: Im Schwarm. Ansichten des Digitalen. Berlin, 2013.
  • Han, Byung-Chul: Transparenzgesellschaft. Berlin: Matthes & Seitz, 2012.
  • Herring, Susan: The Rhetorical Dynamics of Gender Harassment On-Line. In: The Information Society, Vol. 15, No. 3. 1999, 151–167.
  • Naber, Andreas. Der Shitstorm. Die neugewonnene Macht der Konsumenten durch die sozialen Netzwerke und ihre Implikationen auf die Kommunikationsstrategien von Unternehmen. Berlin: Hochschule für Technik und Wirtschaft, 2013.
  • Peric, Bojan: Gender und Pixel. Damsel in Distress, Gender und Gaming. Paidia: Zeitschrift für Computerforschung (2014, http://www.paidia.de/?p=4531, abgerufen: 02.02.2017).
  • Pritsch, Sylvia: Verletzbarkeit im Netz. Zur sexistischen Rhetorik des Trollens. In: Feministische Studien, Band 29, Nr. 2., 2011, 232–247.
  • Pritsch, Sylvia: Zur sexistischen Gewalt im Netz. In: Schwerpunkt. 2014, 53–55.
  • Sarkeesian, Anita: «I’ll make a man out of you»: Strong Women in Science Fiction and Fantasy Television. Toronto: York University, 2010.
  • Voskamp, Friederike: Virtueller Pranger im Internet. «Shitstorm» und «Cybermobbing» als Bühne für die Meinungsfreiheit? – Providerpflichten nach der BGH-Rechtsprechung. Bremen: Schwerpunkt. 2013, 787–791.

Internetquellen

Abbildungsverzeichnis

 

[1] Malakasioti 2012.

[2] Vgl. Voskamp 2013, 787.

[3] Duden 2017.

[4] Vgl. Voskamp 2013, 789.

[5] Vgl. Sarkeesian in TEDxTalks 2012, 08:49-09:05.

[6] Sarkeesian 2010, 14.

[7] Die Ausführungen in diesem Abschnitt beziehen sich auf Anita Sarkeesians TEDxWomen 2012-Talk.

[8] Vgl. Anita Sarkeesian in TEDxTalks 2012, 02:00-03:44.

[9] Vgl. Han 2013, 7.

[10] Vgl. ebd., 7-8.

[11] Han 2012, 76.

[12] Ebd., 79.

[13] Vgl. Han 2013, 7

[14] Vgl. ebd., 8.

[15] Vgl. Pritsch 2014, 53.

[16] Butler dekonstruiert verbreitete Denkmuster und fasst Konzepte wie das Denken in Kategorien von Körper und Identität neu. Als radikale Poststrukturalistin ist sie davon überzeugt, dass alles, womit es der Mensch in der Welt zu tun hat, diskursiv erzeugt ist. Sie argumentiert, dass alle Aussagen über Identität, Körper und Geschlecht erst im Diskurs bestimmt werden. Bilder und visuelle Phänomene versteht sie als reine Zeichen einer diskursiven Praxis. Sie geht also davon aus, dass bestimmte Sprechakte die Wirklichkeit erst herstellen (vgl. Butler 1995, 22f).

[17] Vgl. Klappentext Butler 2006.

[18] Butler 2006, 10.

[19] Ebd., 15.

[20] Ebd., 53.

[21] Kommentar des Users surfer64, 2015 (Sarkeesian 2013a). Dabei sei angemerkt, dass Sarkeesian die Kommentar-Spalte immer wieder schliesst und öffnet, wohl als Reaktion auf aktuelle Tendenzen des Shitstorms.

[22] Butler 2006, 13.

[23] Ebd., 13.

[24] Ebd., 13.

[25] Vgl. Butler 2006, 14 ff.

[26] Graf (2014) definiert ‹GamerGate› folgendermassen: «Das Schlagwort ‹GamerGate› überschreibt einen beispiellosen Strudel aus Pressekritik, Sexismus, Feminismus und Verschwörungstheorien.»

[27] Vgl. Freidel 2014.

[28] In dem genannten Video versucht ein User Sarkeesians Videoserie zu dekonstruieren und ihre Glaubwürdigkeit zu schmälern.

[29] Kommentar des Users spoony smalls, 2016 (TEDxTalks 2012).

[30] Kommentar des Users Cup Cake Unleashed, 2015 (TEDxTalks 2012).

[31] Kommentar des Users jscott2700, 2014 (Sarkeesian 2013a).

[32] Kommentar eines Users, dessen Account mittlerweile gelöscht wurde, 2014 (Sarkeesian 2013a).

[33] Kommentar des Users 2456gamer, 2015 (Sarkeesian 2013b).

[34] Kommentar des Users Philip Kurian, 2016 (Sarkeesian 2013d).

[35] Siehe dazu Julinoir 2009.

[36] Vgl. Butler 2006, 13.

[37] Kommentar des Users Aaron Delaney, 2016 (Sarkeesian 2013a).

[38] Kommentar des Users 11viewer77, 2014 (Sarkeesian 2013c).

[39] Matsuda, zitiert nach Butler 2006, 36.

[40] Sarkeesian in TEDxTalks 2012, 07:40-07:56.

[41] Vgl. ebd., 03:32-03:43.

[42] Butler 2006, 28-29.

[43] An dieser Stelle sei auf den Beitrag von Zoé Piguet in diesem Band verwiesen. Bei ihrer Untersuchung des Studiengangs Game Design an der Zürcher Hochschule der Künste kommen Sarkeesians Video-Reihe und der Gender-Debatte wichtige Bedeutung zu.

[44] Vgl. Butler 2006, 38.

[45] Sarkeesian 2012, 08:15 ff.