Muriel Gubler

Let’s Play!

Erste autoethnografische Spiel-Erkundungen am Beispiel Firewatch

Digitale Spiele, ob online oder offline, allein oder in Gruppen, am Computer oder Smartphone, sind heute Teil der Alltagskultur. Ihre Begleiterscheinungen wie mediale Berichterstattung, Debatten über Werte, Risiken und Folgen von Spielen, Rezensionen, Verfilmungen usw. sind weit verbreitet und Teil des kulturellen Lebens, sodass selbst Nicht-Spieler/innen meist auf irgendeine Weise mit diesem Zweig der Unterhaltungsindustrie in Kontakt kommen.

In dieser medialen Präsenz werden aber gleichzeitig neue Probleme sichtbar. Trotz der scheinbar grossen Öffentlichkeit der Videospiele ist die Auseinandersetzung mit ihnen oft oberflächlich und von Unwissen geprägt. In den Schlagzeilen und Köpfen der Allgemeinheit dominieren häufig negative Aspekte von Videogames, während die positiven Seiten der Spiele sowie konkretes Wissen darüber weitgehend fehlen.[1] Dieses Unwissen findet sich denn meist an und in Personen und Orten, wo Computerspielerfahrungen fehlen.

An dieser Stelle setzt der folgende Artikel an. Ich verfüge, aufgrund der oben genannten Umstände sowie einem generellen Interesse an populärkulturellen Thematiken, über ein gewisses, wenn auch wenig ausgeprägtes, Grundlagenwissen über Videogames, wobei es sich v.a. um vages Wissen aus zweiter Hand handelt. Ziel dieses Artikels soll darum ein Perspektivenwechsel sein. Nicht die Sichtweisen anderer stehen dabei im Zentrum des Interessens, sondern meine eigenen.

Dies ist in zweifacher Hinsicht eine neue Erfahrung für mich. Einerseits ist mir der Game-Bereich fremd. Die daraus entstehende Anfänger-Perspektive erlaubt aber spezifische Einblicke in die Welt der Computerspiele. Was für Spieler/innen selbstverständlich ist und vielleicht auch durch Automatismen zu blinden Flecken führt, wird für mich neu sein. Andererseits ist auch die gewählte Methode der Autoethnografie neu für mich.

Mit dem Ziel, anhand von eigenen Erfahrungen, Wissen und Verständnis herzustellen und so ein für mich neues Feld zu erschliessen, wurde das erste Spielen eines konkreten Games, in diesem Fall Firewatch, autoethnografisch untersucht. Die Wahl von Forschungsfokus und Methode erlaubt beiderseits die Möglichkeit, neue Erfahrungen ausserhalb meiner ‹Comfort Zone› zu sammeln, was spannende und ungewohnte Einblicke verspricht, gleichzeitig aber eine persönliche Herausforderung darstellt.

Die aus diesen Bedingungen entwickelte Fragestellung ist grundsätzlich eher breit angelegt, lässt sich durch die autoethnografische Arbeit jedoch gewinnbringend konkretisieren. Es soll darum gehen, die eigene, unmittelbare Erfahrung des ersten Spielens eines Videogames aus kulturwissenschaftlicher Perspektive zu untersuchen. Dabei liegt der Fokus auf der Selbstbeobachtung, denn meine Praxen, Emotionen und Erfahrungen vor, während und nach dem Spielen sollen erfasst und kontextualisiert werden.

Der Artikel wird sich der umrissenen Thematik nähern, indem zunächst die Methode der Autoethnografie kurz vorgestellt und auf die aufgeworfene Fragestellung bezogen wird. Danach werden die Vorbereitungen für das Spielen und die eigentliche Spielsituation aufgezeigt, analysiert und kulturwissenschaftlich verortet. Abschliessend werden die wichtigsten Erkenntnisse der Arbeit im Fazit zusammengefasst.

Autoethnografie und Subjektivität

Die Autoethnografie ist eine Unterkategorie der klassischen Ethnografie, sie ist zugleich Methode und Produkt wissenschaftlicher Arbeit. Was wird aber unter Autoethnografie verstanden? Carolyn Ellis beschreibt Autoethnografie als «Forschungsansatz, der sich darum bemüht, persönliche Erfahrung (auto) zu beschreiben und systematisch zu analysieren (grafie) um kulturelle Erfahrung (ethno) zu beschreiben»[2]. Mit dem Verweis auf die persönliche Erfahrung macht die Definition deutlich, dass die Methode zunächst auf spezifische und singuläre Wahrnehmung und Erfahrung setzt.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass das individuelle Erfahren ohne grösseren Kontext existiert. Mit dem Ziel kulturelle Erfahrung beschreiben zu wollen, wird impliziert, dass sich die einzelnen Erfahrungen auf Phänomene beziehen, welche in einer spezifischen Kultur anerkannt, wahrgenommen und beschrieben sind. Die Autoethnografie räumt also dem subjektiven Erfahren grossen Wert ein. Diese Subjektivität wird zugleich mit dem Verweis auf die systematische Analyse der Befunde relativiert, ist Objektivität doch das oberste Ziel. Damit wird deutlich, dass die Methode wissenschaftlichen Standards entspricht und somit gleichwertig zu klassischen Methodonline-reviewen der Kulturwissenschaft gebraucht werden kann. Die Autoethnografie ermöglicht es aber, individuelle Stimmen, marginalisierte Perspektiven und bisher nicht repräsentierte Gruppen sichtbar zu machen, um so die wissenschaftlich beachtete Sphäre zu vergrössern und zu differenzieren.[3]

Ein weiterer Bezugspunkt der Autoethnografie findet sich in der Autobiografie, die retrospektiv und selektiv über das Leben der Autorin oder des Autors schreibt. Dabei werden nicht alle Ereignisse und Erfahrungen gleichwertig beleuchtet, sondern auf spezifische und bedeutende Momente fokussiert, welche an ein aussenstehendes und nicht direkt involviertes Publikum vermittelt werden. Diese Arbeitsweisen finden sich ebenfalls in der Autoethnografie wieder.[4]

Ziel der autoethnografischen Methode ist es nun, persönliche Erfahrung zu nutzen, um Facetten kultureller Erfahrung zu beschreiben. Dahinter steht die Idee, dass unser Handeln, Denken und Fühlen in der Gesellschaft, in der wir leben, verankert und begründet ist.[5] Es muss also möglich sein, anhand von individuell gelebter Erfahrung, soziale, gesellschaftliche und kulturelle Phänomene zu untersuchen.

Autoethnografie als Methode zeichnet sich durch spezifische Aspekte bzw. Annahmen aus. Die Autoethnografie ist eine Form der Narration und damit grundsätzlich eine konstruierte, symbolisch aufgeladene Erzählung, welche selektiv und retrospektiv verfasst ist, um auf spezifische Momente und Motive hinzuweisen.[6] Die autoethnografische Methode nutzt bewusst die persönliche Erfahrung der Forschenden, wobei mit dieser expliziten Subjektivität die wissenschaftlich geforderte Objektivität der Forschung in Frage gestellt wird. Kompensiert wird dies, indem die Objektivität zum Thema wird und die Reflexion über das eigene Handeln stark in den Forschungsprozess eingebunden wird. [7] Diese Methode reiht sich zudem in einen grösseren Kontext ein, bei dem es darum geht, dass das eigene Selbst der Forschenden, vor allem in der Kulturwissenschaft, immer Teil des Arbeits- und Forschungsprozesses ist, auch wenn dies meist nicht explizit besprochen oder anerkannt wird.[8]

Wie und warum soll die Methode der Autoethnografie nun aber in dieser Arbeit konkret genutzt werden? Grundsätzliches Ziel ist es, persönliche Erfahrung zu nutzen und diese in einen grösseren sozialen Kontext der Thematik einordnen zu können, wobei die persönlichen Erfahrungen als Forschungsdaten gebraucht werden.[9] Dies erlaubt eine nuancierte Beschreibung des Erlebten, der aufgekommenen Emotionen sowie das Wahrnehmen impliziter Mechanismen, Normen und Regeln innerhalb der betrachteten kulturellen Praxis.[10] Die Methode der Autoethnografie bietet sich gerade im Bezug auf die Datenerhebung insofern besonders gut an, als der Bereich Games/Gaming für mich als Forscherin noch Neuland ist, sodass die Autoethnografie in gewisser Weise als Interview-Alternative fungiert. Daraus ergibt sich die Möglichkeit und die Herausforderung, eigene Emotionen, Gedanken, Aktionen und Reaktionen mit Blick auf das Erkenntnisinteresse zu untersuchen.

Einordnung in die Game Studies

Am Anfang dieses Projekts stand zunächst die Einarbeitung in das breite Feld der Game Studies. Die Beschäftigung mit digitalen Spielen im akademischen Kontext ist eine neue Entwicklung, die ab den 90er-Jahren vermehrt zu beobachten ist. Das Feld ist also neu, was erklärt, dass es sich (je nach Autor/in) noch in der Konsolidierungsphase befindet[11], oder sich zumindest erst kürzlich zu institutionalisieren begonnen hat.[12] Dies bedeutet auch, dass die Disziplin einen eher breiten Interessenshorizont abdeckt und bezüglich Methoden, Zugängen und Theorien offen ist, also (noch) nicht auf einem starren Kanon fachspezifischer Theorien und Arbeitsweisen besteht.[13]

Bedeutend für die Beschäftigung mit dem Thema Games ist die Anerkennung des Wandels innerhalb des Gegenstandsbereiches. Seit den ersten digitalen Spielen hat sich dies vor allem in der technischen Entwicklung sowie der Ausweitung des Publikums niedergeschlagen, was dazu geführt hat, dass das Image des Gamens im kulturellen Rahmen einen grundlegenden Wandel durchgemacht hat.[14]

Eine weitere wichtige Grundlage bei der Beschäftigung mit dem Themenkomplex Game Studies ist die Einsicht, dass Games/Gaming Culture kulturelle Artefakte darstellen und mit spezifischen Praxen verbunden sind. Beide existieren nicht einfach für sich allein, sondern sind in einen spezifischen kulturellen und zeitlichen Kontext eingebunden. Dieser Kontext bietet dann wiederum Rahmenbedingungen, die beeinflussen, wie über die Thematik gedacht, gesprochen, geurteilt und mit ihr umgegangen wird.[15] Wenn im Folgenden also über Games gesprochen wird, geschieht auch dies in einem spezifischen Kontext und ist somit gewissen Regeln und Denkrichtungen unterworfen.

Zum technischen und sozialen Zugang oder:  Von Hürden und ihrer Überwindung

Im Folgenden schildere ich meinen Zugang zum Gegenstandsbereich. Ich fasse den Begriff ‹Zugang› relativ weit und versuche darzulegen, wie und was dazu beitragen kann, dass spezifische kulturelle Praxen verfolgt werden oder dies unterlassen wird.

Meine persönliche Beschäftigung mit Games/Gaming fand im Rahmen eines Seminars des Studiengangs Populäre Kulturen ihren Anfang. Zum Semesterstart sollte als Einstieg in das Aufbaumodul Game Studies eine Playografie[16], also eine individuelle Spielebiografie, verfasst werden. Darauf sollte vermerkt werden, welche Spiele zu welchem Zeitpunkt gespielt bzw. als besonders wichtig eingestuft wurden. Mein Blatt war schlussendlich – mit Ausnahme von Gesellschaftsspielen wie bspw. UNO, Ligretto und Tutto – ziemlich leer. Abgesehen von einigen wenigen Gameboy-Spielen, einigen Handy-Quiz und den Sims als einzigem Computerspiel zeigte sich deutlich, dass meine Erfahrungen in diesem Bereich sehr gering waren.

Diese ‹Lücke› befütterte meine Unsicherheit. Wie sollte ich ein Seminar zu diesem Thema bestreiten, wenn ich praktisch keine Vorkenntnisse hatte? Die Bedenken minderten sich aber schnell, denn es wurde klar, dass bei anderen Teilnehmer/innen teilweise auch nicht mehr Erfahrungen vorhanden waren und das Seminar thematisch aufgrund der unterschiedlichen Wissensstände sowie der weiten Auffassung des Gegenstandsbereichs bewusst sehr breit angelegt war.

Es stellt sich nun aber doch die Frage, warum der Bereich Games für mich so fremd war. Eine mögliche Antwort liegt dabei im Geschlecht. Computerspiele befinden sich seit ihrer Entstehung in einem männlich dominierten Terrain. Der Frauenanteil hat zwar in letzter Zeit deutlich zugenommen, die männlichen Spieler bilden aber immer noch die Mehrheit.[17] Wenn ich mir jedoch die Zusammensetzung im Seminar ansehe (7 Studentinnen, 6 Studenten sowie 1 Dozentin und 1 Dozent), wird deutlich, dass das Geschlecht kein sehr aussagekräftiger Faktor zu sein scheint, wenn es darum geht, ob jemand (digital) spielt oder nicht.

Fast wichtiger erscheint die Tatsache, dass nicht nur ich selbst, sondern auch mein unmittelbares Umfeld kein oder nur sehr wenig Interesse an der Thematik zeigen. So kommt das Thema nicht zur Sprache, es findet keine Diskussion und auch keine Einstiegsmöglichkeit statt. Meine ‹Wissenslücke› erstaunt mich selbst, da mein generelles Interesse an populärkulturellen Themen gross ist.

Hier spielt wohl auch der grössere gesellschaftliche, kulturelle und technische Kontext eine Rolle. Während Bücher, Filme, Serien und Musik ‹etablierter› Bestandteil der kulturellen Sphäre sind, ist dies bei Games (noch) nicht, zumindest nicht im gleichen Masse, der Fall. Dadurch sind die Einstiegshürden beim Spielen grösser als bei anderen Geräten/Konsolen. Weil ich weder im persönlichen Umfeld noch medial/kulturell vermittelt mit der Thematik in Kontakt komme, habe ich praktisch keinen Bezug zum Themenkomplex Games.

Ein weiterer Aspekt, den es unter dem Überbegriff ‹Zugang› zu beachten gibt, betrifft den Bereich der Technik. Wie bereits deutlich wurde, habe ich bis jetzt praktisch keine Erfahrungen mit digitalen Spielen gemacht. Dies hängt sicher auch damit zusammen, dass ich, bzw. meine Schwester, mit Ausnahme eines Gameboys keine Spielkonsolen besitzen und besessen haben. Spielen wäre also für mich sowieso nur auf dem Computer möglich gewesen. Dabei ist zu beachten, dass ich ein MacBook Air besitze, welches bezüglich seiner technischen Gegebenheiten nicht für das Spielen ausgerichtet ist, was beim Ausprobieren der Demoversionen verschiedener Spiele deutlich wurde.

Als bedeutenden Punkt in diesem Bereich des Zugangs würde ich auch das Unwissen bezüglich des konkreten Bezugs der Spiele bezeichnen. Abgesehen von der Möglichkeit, die Spiele im Laden oder online zu kaufen, wusste ich nicht, wo ich Spiele erwerben könnte. Erst im Verlauf des Seminars wurde ich mit Steam[18] vertraut. Auch hier fällt auf, dass ein Ungleichgewicht der Bekanntheit in der grösseren Öffentlichkeit herrscht: Während ähnliche Dienste für andere Medienformate wie iTunes oder Netflix in den Medien präsent sind, ist dies für Steam sicher nicht im gleichen Masse der Fall.

Aufgrund dieser verschiedenen sozialen und technischen Hürden, bzw. Wissenslücken brauchte ich also zunächst einmal Hilfestellung von Aussen, um überhaupt diese mir unbekannte Welt betreten zu können. Indem mit dem Seminarbesuch diese Bedingungen geklärt waren, ergaben sich plötzlich ganz neue Möglichkeiten, wie die Thematik Games von mir bearbeitet werden könnte. Gerade weil mir Vorwissen fehlte, lag die Beschäftigung mit dem Material und die Thematisierung meines Unwissens selbst nahe. Ich hatte hier die Chance, Erfahrungen aus erster Hand zu machen und damit die spezifische Perspektive einer Anfängerin zum Ausgangspunkt meiner Forschung zu machen. Damit war es möglich, sowohl andere und neue Aspekte des Themas in den Fokus zu nehmen, als auch meine eigene Neugier bezüglich einem mir bisher unbekannten Themenkomplex zu stillen.

Als Abschluss des Zugangs, und somit auch der Vorbereitung, soll die konkrete Auswahl des Spiels begründet werden. Nachdem ich mir zunächst verschiedene Möglichkeiten der Annäherung an das Thema über andere Medien[19] überlegt hatte, beschloss ich, die Chance zu nutzen, direkt und aktiv an das Thema heranzugehen und einen doppelten Sprung in unbekannte Gewässer zu wagen: eine Autoethnografie der ‹ersten› Game-Erfahrung. Diese Entscheidung hing massgeblich damit zusammen, dass ich in dieser Situation die Möglichkeit hatte, Hilfestellungen von diversen Seiten in Anspruch zu nehmen, die ich sonst nicht gehabt hätte. Das Vorhandensein einer Community, die über nötiges Wissen, Erfahrung und Know-how verfügt, kann also als Bedingung oder zumindest als Erleichterung angesehen werden, wenn es darum geht, Eintritt in einen neuen thematischen Bereich zu finden. Diese Hilfestellung trug auch konkret zur Auswahl des Spiels bei. Ich wusste zwar einigermassen, was ich nicht spielen wollte (Waffen, Gewalt, Horror), doch mir fehlte das Wissen über das Angebot jenseits dieser Ideen. Wichtig war für mich zudem, dass das Spiel über einen relativ klaren Verlauf verfügt und meinen Fähigkeiten entgegenkommt. Aufgrund verschiedener Vorschläge entschloss ich mich für das Spiel Firewatch[20], wobei hier angemerkt werden muss, dass ich mir zu diesem Zeitpunkt noch keine konkreten Gedanken zum Inhalt des Spiels gemacht hatte. Nachdem nun das Forschungsvorhaben formuliert wurde und Beistand zum Überwinden der Hürden vorhanden war, konnten ‹die Spiele beginnen›.

Press Play to Begin

Mit der eigentlichen Untersuchung wurden Daten in Form von Feldnotizen generiert, die während dem Spielen verfasst wurden. Die Spielumgebung ist in Abbildung 1 zu sehen; ich spielte allein am Schreibtisch in meinem Zimmer, der Platz war beschränkt, neben dem Laptop lag Schreibmaterial bereit. Die Notizen wurden zu Analysezwecken thematisch kodiert und geordnet, wobei die wichtigsten Bereiche in die Arbeit integriert wurden. Zu Beginn muss jedoch die Einschränkung gemacht werden, dass die nachfolgende Analyse nur eine Auswahl darstellt und keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.

Abb. 1: Spielsituation

Erste Schritte: Gameplay, Bedienung und ich

Zu Beginn soll die Story des Spiels behandelt werden. Firewatch erzählt die Geschichte des Protagonisten Henry, der einen neuen Job in der Firewatch eines Parks beginnt. Die Handlung orientiert sich anschliessend an den täglichen Aufgaben Henrys, welche ihm von Delilah erteilt werden. Die beiden interagieren praktisch konstant durch das ganze Spiel hindurch miteinander, wobei die Interaktion ausschliesslich durch ein Funkgerät geschieht. Der Spielverlauf hat grundsätzlich eine Auftrags- bzw. Missionsstruktur, das heisst, dass Henry jeweils eine konkrete Aufgabe erteilt bekommt, welche er dann ausführen muss. Das Spiel lässt sich dem Genre Abenteuer – genauer dem Subgenre der Walking Simulators[21] – zuordnen.[22] Genres sind, grob gesagt, Klassifizierungssysteme für Medienprodukte. Sie dienen dazu, gewisse Merkmale dieser Produkte zu definieren und schaffen so Orientierungshilfe für Medienproduzenten und Konsumenten.[23] Für mich als Computerspielanfängerin ist diese Genreeinteilung zwar nicht wichtig, da ich nicht weiss, welche Aspekte damit verbunden sind. Für erfahrenere Spieler/innen wird damit aber eine gewisse Erwartungshaltung bezüglich der Spielmechanik, Story, Perspektive usw. erzeugt.

Auch im Bereich Gameplay ist es für mich bedeutend, den Aspekt der Technik bzw. Spielmechanik anzusprechen. Die Steuerung funktioniert grundsätzlich mit Tastatur und Maus bzw. Trackpad, wobei ich aus Gewohnheit Letzteres benutzte. Vor Spielbeginn sah ich mir im Spielmenü die Einstellungen an:

«Ich schaue mir die Steuerung an und mache mich mit den wichtigsten Tasten vertraut. Da eben keine grossen Vorkenntnisse bestehen, sind es zu viele, um sich alle zu merken, also beschränke ich mich auf das Wichtigste: laufen, springen. Ich stelle mich darauf ein, im Verlauf des Spiels darauf zurückzukommen, um einzelne Steuerungselemente nachzuschauen.»[24]

Wie aus der Passage des Feldtagebuchs deutlich wird, war ich von den vielen verschiedenen Steuerungsoptionen zunächst etwas überfordert. Für erfahrende Spieler/innen wären die Tasten vermutlich bekannt gewesen, die Steuerung reine Routine. Schon hier wird deutlich, dass sich das Spielen mit oder ohne Erfahrung deutlich voneinander unterscheidet. Für Neulinge sind schon Basiseingabeoptionen neu, während sich erfahrene Spieler/innen wohl nicht einmal die Mühe machen, die Steuerung vor Spielbeginn zu studieren.

Mit dem eigentlichen Spielbeginn konnte ich aber feststellen, dass die Steuerung recht einfach funktionierte. Mit wenigen Tasten können die wichtigsten Funktionen betätigt werden und wenn neue Steuerungsmechanismen, wie bspw. die Benutzung des Funkgerätes zur Kommunikation mit Delilah, was in Abbildung 2 zu sehen ist, dazukommen, wird auf dem Bildschirm angezeigt, welche Tastenkombination dazu verwendet werden muss. Das Spiel kommt ‹Frischlingen› also tatsächlich entgegen.

Abb. 2: Bedienungshilfen

Während ich zu Beginn des Spiels häufig auf diese Hilfen angewiesen war und teilweise Mühe mit gewissen Kombinationen hatte, machte sich doch schnell ein gewisser Lernprozess bemerkbar. Die Steuerung wurde zunehmend intuitiver und zu einem gewissen Masse automatisiert.[25]

Als weiteres technisches Element im Gameplay möchte ich noch ein paar Worte zum von mir benutzten Computer verlieren. Obwohl mir versichert wurde, dass das ausgewählte Spiel mit dem Laptop gut spielbar sei, ergaben sich einige Probleme. Ich habe zunächst auf Anraten einer Kommilitonin die Auflösung des Spiels vor Spielbeginn heruntergesetzt, um so weniger ‹Leistung› zu brauchen. Trotz dieser Vorkehrungen begann mein Laptop zu überhitzen, was sich in einer konstant lauten Spielsituation bemerkbar machte. Aus diesem Grund habe ich die ganze Zeit mit Kopfhörern gespielt und hatte manchmal trotzdem noch Probleme, den Gesprächen zu folgen. Dies hat zwar das Spielen nicht einschneidend gestört, doch es hat zu einer nicht ganz so entspannten und konstant lauten Spielsituation geführt. Nebenbei habe ich durch diese Technikhürde jedoch erste Grundlagen bezüglich des Zusammenspiels der Elemente Grafik, Leistung und Lüftung erkannt und so einen weiteren Lernprozess durchgemacht.

Ein letzter Punkt zum Gameplay beschäftigt sich mit der Thematik der Einflussnahme bzw. den Optionen im Spielverlauf selbst. Wie schon angesprochen, ist der Auftragscharakter ein Kennzeichen des Spiels. Die Aufträge werden vorgegeben und nach erfolgreichem Abschluss folgt der nächste – hier scheinen die eigenen Handlungsoptionen also sehr begrenzt zu sein. Dem Gegenüber stellen die Gesprächssituationen mit Delilah eine Ausnahme dar. Die Kommunikation mit Delilah findet meist in Form eines Gespräches statt. Im Verlauf dieser Gespräche habe ich (als Spielfigur) mehrere vorgegebene Antwortmöglichkeiten, aus denen ich meine Reaktion auf Gesagtes auswählen kann. Doch gerade diese Auswahl an Antwortmöglichkeiten habe ich seit Spielbeginn hinterfragt:

«[…] hier stellt sich die Frage, ob alle Möglichkeiten schlussendlich ans gleiche Ziel führen, oder inwiefern die eigene Auswahl die Narrationsgrundlage verändert. Denke eher, dass keine grossen Veränderungen bewirkt werden können.»

Es wird deutlich, dass die Frage nach der eignen Einflussnahme in das Spielgeschehen und damit in den gesamten Spielverlauf eine bedeutende Position einnimmt. Zudem wird klar, dass ich persönlich nicht an eine bedeutende Einflussmöglichkeit glaube, denn dies würde der sonst so strikt vorgegebenen Story des Spiels zuwiderlaufen. Die Narration dieses Spiels gibt also die Perspektive, die Sequenz sowie die Inklusion/Exklusion bestimmter Ereignisse vor, sodass Spielende selbst nur sehr beschränkte Einflussmöglichkeiten in den Spielverlauf haben.[26]

Sinne: Optik, Akustik und Atmosphäre

Neben der grundlegenden Funktionsweise des Spielens hat mich zu Beginn des Spiels vor allem dessen künstlerische Gestaltung in den Bann gezogen. Aus diesem Grund möchte ich nun jene gestalterischen Elemente besprechen, welche mir aussergewöhnlich stark aufgefallen sind. Einerseits betrifft dies die Geräuschkulisse, welche durch den Einsatz von Geräuschen und Musik geschaffen wird. Die Geräusche sind allgegenwärtig und schaffen/verstärken so die Illusion einer realen Situation. Wenn ich durch ein Gebüsch marschiere, rascheln Blätter; beim Klettern gibt Henry Geräusche der Anstrengung von sich. Solche und ähnliche Merkmale und Aspekte des Spielens fördern die Immersion oder auch das Präsenzerleben und erlauben ein erleichtertes und vollständigeres Eintauchen in die digitale Spielwelt.[27]

Im Gegensatz zu den Geräuschen habe ich mit dem Einsatz von Musik im Spiel etwas gehadert. Musik untermalt das Spielgeschehen immer wieder. Wann und warum diese einsetzt oder was genau damit erzielt werden sollte, ist mir auch nach mehrmaligem Spielen nicht gänzlich klargeworden. Die Musik setzt meist relativ plötzlich und unvorhergesehen ein und blendet in gleicher Weise wieder aus – somit war für mein persönliches Eintauchen die Musik, entgegen der oben gemachten Überlegungen zu Geräuschen, eher hinderlich.[28]

Als weiteres Element soll auf die Raumgestaltung eingegangen werden. Wichtigstes Mittel zur Orientierung im Raum bietet die Karte des Parks, auf der Wege zwischen den verschiedenen Orten eingezeichnet sind (zur genaueren Funktionsweise der Karte: siehe Kapitel Erfahrungen). Die verschiedenen Orte der interaktiven Welt unterscheiden sich in ihrer Gestaltung teilweise massiv voneinander, sodass die Illusion einer beträchtlichen Grösse des Raumes vermittelt wird. Die Farben orientieren sich an den jeweiligen natürlichen Gegebenheiten (Wald, Wasser, Felsen) und sind in ihrer Basis realistisch gehalten. Abbildung 3 zeigt beispielhaft einen Ausschnitt der Vielfalt und Gestaltungformen der vorkommenden Landschaften, welche die Spielorte deutlich als Wald, Höhle und Canyon erkennbar machen. Obwohl die erkundbare Welt relativ gross ist, bin ich im Spiel an die Grenzen des spielbaren Raumes gestossen.

Abb. 3: Beispiele für Landschaften

Als Abschluss dieses Kapitels soll nun noch auf die Atmosphäre(n) im Spiel eingegangen werden. Innerhalb des Spielverlaufs verändert sich die generelle Stimmung oder Atmosphäre beträchtlich. Diese Veränderung wird mit verschiedenen Mitteln erreicht: Der Einsatz von Licht erzeugt unterschiedliche Stufen von Helligkeit und Dunkelheit. Die Farben generieren Wärme, Kälte, Anspannung und Entspannung. Der Musikeinsatz sorgt für Stimmungen oder verstärken diese. Der Einsatz von Gewittern befördert Gefühle von Bedrohlichkeit. Rauch in der Luft, Gespräche und damit verbundene Theorien signalisieren Gefahr. Abbildung 4 zeigt eine Auswahl verschiedener Atmosphären, die durch Farben, Landschaften, Witterung und Lichteinsatz geschaffen werden, wobei besonders die Unterschiede zwischen den verschiedenen Kompositionen und die damit verbundenen differenzierten Assoziationen wie Gefahr, Entspannung oder Hitze auffällig sind.

Abb. 4: Beispiele für Stimmungen

Zum Bereich der Atmosphäre ist es wichtig zu sagen, dass die Empfindungen, die durch das Spiel vermittelt wurden, teilweise bis in die Wirklichkeit transportiert wurden und verschiedene Sinne angesprochen bzw. involviert wurden. Gefühle der Bedrohlichkeit, Hitze-Zustände oder schlechte Luft, welche durch den Rauch simuliert wurde, wurden für mich in mehreren Situationen in der Realität erlebbar:

«Die Atmosphäre wird angespannt und auch etwas unheimlich, zudem wird es dunkel, was zum allgemeinen Unbehagen beiträgt. Die ganze Situation wirkt etwas bedrohlich und auch mir selbst wird, entgegen aller Logik, etwas unbehaglich zumute.»

Diese Erfahrungen decken sich mit dem Konzept des Embodiment, welches sich mit den Wechselwirkungen zwischen den Geschehnissen und Prozessen beim Spielen und den physischen Reaktionen der Spielenden beschäftigt.[29] Bareither bezeichnet solche Erfahrungen als Affizierung und versteht darunter jene Effekte, bei denen emotionale Erfahrungen Auslöser für körperliche Reaktionen bei den Spielenden sind.[30]

Identifikation: Spieler/in und Spielfigur

Identifikation mit Medienfiguren ist ein Konzept, dass grundsätzlich in der Betrachtung aller Medienformate auftaucht. Bei neueren Medien und insbesondere beim Computerspiel wird diese Identifikation entscheidend verändert und verstärkt. Grundlage dafür bietet die Tatsache, dass Medienfiguren von den Spieler/innen gewissermassen als Verlängerungen des eigenen Selbst wahrgenommen werden und dass das eigene Handeln in der interaktiven Spielwelt konkret erlebt werden kann. Dies führt dazu, dass eine echte Identifikation im Sinne einer Verschmelzung mit der Spielfigur stattfinden kann.[31] Diese Avatare, so Bareither, setzen den menschlichen Körper in einen Wahrnehmungs- und Tätigkeitszusammenhang zu einer virtuellen Umwelt.[32] Grundsätzlich trifft dies für meine Erfahrung beim Spielen insofern zu, als Firewatch aus der Perspektive Henrys gespielt wird und Spieler/innen die Geschehnisse aus direkter Perspektive der Spielfigur erleben. Dies wird deutlich, indem man die Spielfigur eigentlich mit Ausnahme von Armen/Händen (selten Beine) niemals sieht. Ich erlebe die Handlung also aus einer ‹First-Person Perspektive›, indem ich laufe, klettere und mich aus der Perspektive der Spielfigur selbst orientiere, wie dies in Abbildung 5 zu sehen ist.

Abb. 5: Perspektive

Gleichzeitig hat für mich eine vollständige und andauernde Identifikation mit der Spielfigur Henry nur bedingt stattgefunden. Einerseits ist die Figur nicht individuell anpassbar: Henry ist ein Mann, was durch die Stimme, die durch das ganze Spiel hindurchführt, deutlich wird. Andererseits war vielleicht auch die Sprache ein Hindernis für mich. Das Spiel kommuniziert (zumindest in den Dialogen) in Englisch, was eine weitere Hürde für meine Identifikation mit den Protagonisten schuf. Weiter stelle ich fest, dass auch der Zeitpunkt im Narrativ eine Rolle spielt, wie stark ich mich mit der Hauptfigur identifizierte:

«Die Auswahl der Antworten/Möglichkeiten erfolgte an diesem Punkt aufgrund eigener und persönlicher Logik à habe mich hier nicht als gegebene Spielfigur gefühlt und gehandelt, sondern auf persönlicher Grundlage.»

Das Zitat stammt aus den Feldnotizen ganz zu Beginn des Spielens. Ich habe die Figur erst gerade kennengelernt und noch keine ‹Beziehung› zu ihr aufgebaut, sodass Entscheidungen an diesem Punkt des Spielverlaufs nicht aus der Logik des Spielcharakters, sondern hauptsächlich aufgrund persönlicher Empfindungen und Erfahrungen gemacht wurden.

Doch was bedeutet ‹Identifikation und Verschmelzung mit der Spielfigur› überhaupt? Geht es darum, die eigenen Empfindungen auf die Spielfigur zu übertragen oder aus der Logik der Spielfigur heraus zu handeln? Ist eine bewusste Trennung dieser Empfindungen überhaupt möglich und ist sie Zeichen für oder gegen eine Identifikation mit der Spielfigur? Obwohl Identifikation meint, dass meine Entscheidungen und Erfahrungen zu jener der Spielfigur werden, bleibt für mich eine Trennung – oder zumindest ein Bewusstsein – vorhanden, welche zwischen spielinterner Handlungslogik (aus Henrys Vorgeschichte gegeben) und persönlicher Logik, die auf meiner realen Situation besteht, unterscheidet. Ich bin zwar in das Spiel involviert, das Bewusstsein des Vorhandenseins eines Avatars tritt aber im Spielverlauf immer wieder und in unterschiedlicher Intensität auf.

Ein weiterer Aspekt betrifft die Beeinflussbarkeit. Wie schon erwähnt, sind die Möglichkeiten der Einflussnahme in den Spielverlauf eher beschränkt, was wiederum das Identifikationspotenzial mit den gemachten Handlungen verringert. Doch auch hier hält meine Erfahrung Gegenbeispiele bereit:

«Beim Herausgehen will ich instinktiv den Rucksack, der neben der Tür auf dem Tisch liegt, mitnehmen. Dies scheint jedoch zunächst nicht zu funktionieren. Es stellt sich heraus, dass der Rucksack beim Herausgehen vom System selbst automatisch angezogen und somit mitgenommen wird. Ich wollte also aufgrund realer Logik und anhand eigener Erfahrung in der Wirklichkeit handeln, obwohl dies gar nicht vorgesehen war.»

Das Beispiel beschreibt eine Situation im Spiel, in der ich aufgrund von Erfahrungen in der realen Welt auf eine bestimmte Art und Weise handeln wollte, obwohl dies vom Spiel so nicht vorgesehen war. Solche Situationen sind im Spiel mehrmals aufgetreten und machen deutlich, dass doch eine Art von Verschmelzung des eigenen Selbst mit dem Spielprotagonisten und dessen spielinterner Logik stattgefunden hat.[33] 

Emotionen: Irritation, Erfolg und Unbehagen

Grundsätzlich kann ich festhalten, dass ich in einem grossen Masse emotional ins Spiel involviert war, was schon in der zuvor besprochenen Identifikation zur Sprache kam. Die erlebten Emotionen deckten zudem ein sehr breites Spektrum ab, zwischen äusserst positiven und negativen Emotionen wurden beträchtliche Nuancen durchlebt.

Damit überhaupt eine emotionale Reaktion auf die Geschehnisse im Spiel stattfinden kann, bedarf es einer gewissen Involvierung seitens der Spielenden. Diese Prozesse werden mit den Begriffen Präsenzerleben, Immersion und Involvement beschrieben. Obwohl die Konzepte nicht genau dasselbe meinen, basieren sie auf der Annahme, dass die Spielenden in die Spielwelt eintauchen und mit ihr verschmelzen, wobei die digitale Welt in ihrer Gesamtheit als relevantes Referenzsystem für die Spielenden angesehen wird. Dabei steht vor allem die intensive Auseinandersetzung mit der digitalen Welt im Zentrum. Diese Welt wird nicht als medial vermittelt betrachtet, sondern es besteht die Illusion, dass eine direkte Interaktion/Kommunikation in und mit ihr möglich ist.[34]

Im Anschluss möchte ich nun einige emotionale Reaktionen, welche im Spielverlauf aufgetreten sind, genauer betrachten. Positive Emotionen wurden eigentlich immer im Zusammenhang mit Erfolgserlebnissen empfunden. Diese Erfolgserlebnisse standen sehr stark mit Lernerfolgen in Beziehung. Beispiele dafür sind die problemlose Nutzung der Steuerung im Spiel, das Finden von Orten in der Spielwelt, das Erledigen der Aufträge, das Abschliessen eines Tages (Level) usw. Neben diesen Erfolgserlebnissen, ist auch die Neugierde in diese Kategorie einzuordnen. Sie treibt mich an, weiter spielen zu wollen, neue Erfahrungen zu machen und zu sehen, was den Reiz des Spielens eines Computerspiels ausmacht.[35]

Wie zu erahnen ist, waren nicht alle meine Emotionen beim Spielen positiver Natur, weshalb es im Folgenden um die negativen Empfindungen gehen soll. Zunächst sind hier Frustration und Irritation zu erwähnen:

«Auch die Suche nach einem alternativen Weg bringt zunächst nichts. → Ich habe hier sicher 30 min. Zeit gebraucht und bin zu nichts gekommen → ziemlich genervt und unsicher.»

Der Auszug verweist auf die noch zu besprechenden Leerläufe im Spielverlauf. Die negativen Emotionen basieren hier auf dem Gefühl, Zeit und Energie ‹für Nichts› verschwendet zu haben sowie auf dem Eindruck des Versagens, den Anforderungen des Spiels nicht gewachsen zu sein.

Irritation kann aber auch durch andere Ursachen ausgelöst werden. Beim Spielen ergab sich mehrmals eine technische Störung, welche den Spielverlauf behinderte. Inmitten des Spiels gab es plötzlich Probleme mit der Steuerung bzw. deren Reaktion, sodass die Spielfigur sich unabhängig von meinem Eingreifen bewegte und ich darüber keine Kontrolle mehr hatte.[36] Hier ist die Irritation nicht durch das eigene Handeln oder die eigenen Fähigkeiten bedingt, sondern basiert auf dem Medium Computer bzw. dem Computerspiel. Es ist also entscheidend, dass die Immersion gestört und unterbrochen wird. Ich habe keine Kontrolle mehr, über das, was geschieht und es wird deutlich, dass zwischen mir und dem Spiel eine Zwischenebene besteht, welche entscheidenden Einfluss in das Spielgeschehen nehmen kann – mein Eintauchen in die Spielwelt wird also auf deutliche Weise gestört.

Mit Huizinga könnte die beschriebene Erfahrung als Regelbruch bzw. Spielzusammenbruch gedeutet werden. Jedes Spiel basiert auf eigenen und spezifischen Regelungen. Wird die so geschaffene Ordnung verletzt oder gestört, stürzt die Spielwelt zusammen und das Spiel endet.[37] Indem die Steuerung nicht mehr nach den vorgegebenen Regeln funktioniert, wird die geltende Ordnung unterlaufen und ich werde aus dem Spielfluss herausgerissen, was Irritation, Frustration und Wut auslösen kann.

Weiter bilden die Gefühle von Bedrohung, Anspannung, Schrecken, sowie des Unheimlichen ein weiteres Teilspektrum der erlebten Emotionen. Hierzu ein Auszug aus meinen Feldnotizen:

«Ich mache mich auf den Weg, irgendwo auf dem Weg werde ich attackiert. Der Angreifer schlägt mich nieder und es wird schwarz → ich selbst bin beim Angriff erschrocken und zusammengezuckt (physische Reaktion in der realen Welt), Angriff kam sehr überraschend, Interaktion im Spiel ist sowieso (mit Ausnahme von Delilah) eher selten.»

Wie deutlich wird, zeichnen sich diese Emotionen dadurch aus, dass sie physische Reaktionen in der realen Welt nach sich ziehen. Sei es ein Zusammenzucken, eine Anspannung im Körper oder ganz einfach ein Gefühl der Bedrohung – die Emotionen hinterlassen Spuren in Körper und Kopf der Spielenden. Die Gefühle können dabei entweder von konkreten Ereignissen oder aber allein durch die Atmosphäre im Spiel ausgelöst werden. Hier kann wiederum auf Bareither und sein Konzept der Affizierung verwiesen werden. Dabei wird von einer unbewussten Kommunikation zwischen Dingen und Körpern ausgegangen, deren Grundlage eine Embodiment Relation zwischen Avatar und Spieler/in bildet.[38] Emotionale Erfahrungen (wie bspw. Erschrecken) sind dabei Auslöser für körperliche Reaktionen bei den Spielenden.[39]

Zum Abschluss sollen noch einige Beispiele angesprochen werden, welche sich nicht so deutlich den positiven oder negativen Emotionen zuordnen lassen. Dabei geht es zunächst um ein Gefühl der Vorahnung:

«Ich komme zur Höhle und schliesse das Tor auf. Nachdem ich eingetreten bin, schaue ich mich zuerst nach allen Seiten um. Als ich nichts sehe, gehe ich weiter. Kaum bin ich um die nächste Biegung, fällt das Tor ins Schloss und ich bin eingeschlossen.
→ Dieser Verlauf war irgendwie klar und ich habe es auch (zumindest unterbewusst) erwartet.»

Das Beispiel macht deutlich, dass Emotionen in Form einer Vorahnung bezüglich des kommenden Geschehens auftreten können. Hier ist zu beachten, dass einerseits die Stimmung in der Situation zur Vorahnung geführt hat. Andererseits, und wahrscheinlich fast wichtiger, spielt hier eine gewisse ‹Schablonenhaftigkeit› eine Rolle. Damit meine ich, dass die Ausgangslage eine Art Muster darstellt, das sich in anderen Medienformaten wiederfindet und deshalb hier nicht zu Überraschungen führt. Bezüge zu anderen Situationen, eigenen Erfahrungen oder typischer Ereignissen bestimmter Genres/Erzählungen können also dazu führen, emotionale Reaktionen auszulösen.

Abschliessend soll noch auf eine Art Abwehr-Reaktion eingegangen werden:

«Es ist ein Fremder im Turm und ich soll zurück um nachzusehen, wer das ist → Persönlich: Wieso sollte man das tun? Das scheint mir ziemlich idiotisch und viel zu gefährlich.»

Im Auszug wird deutlich, dass meine persönliche Reaktion dem im Spiel formulierten Auftrag gänzlich entgegenläuft. Die Emotion basiert darauf, was ich persönlich in der gleichen Situation in der realen Welt fühlen und denken würde. Der Spielverlauf und meine individuelle Handlungslogik wiedersprechen sich also. Spannend ist hier, dass ich die Emotion zwar wahrnehme und äussere, sie aber letztendlich ignoriere. Es findet also gewissermassen ein Immersionsbruch statt – gleichzeitig kann ein solcher Bruch aber nur stattfinden, weil ich involviert bin. Ich folge der intendierten Spielhandlung, einerseits weil ich weiterkommen will und dazu den Aufträgen folgen muss, andererseits steht dahinter das Bewusstsein, dass es einen Unterschied zwischen Spielwelt und realer Welt gibt. Was sonst als gefährlich angesehen und deshalb nicht getan wird, verliert in der Spielwelt an Bedeutung und wird trotzdem gemacht. Hier spielen jedoch sicher die bisher gemachten Erfahrungen eine Rolle, denn im Spiel gab es keine Situationen, die Henry gefährlich worden wären oder geschadet hätten, weshalb auch hier nicht von einer vorgegebenen Handlungsweise abgesehen wird. In diesem Beispiel wird also eine klare Unterscheidung zwischen Real- und Spielwelt deutlich.

Erfahrungen: Unsicherheit vs. Lernen

Zum Abschluss meiner Beschäftigung mit verschiedenen Aspekten des Spielens möchte ich mich in diesem Kapitel mit den Lernprozessen beim Spielen beschäftigen. An erster Stelle steht die Unsicherheit, bezüglich dessen, was zu tun ist, wie etwas zu erreichen ist oder ob es einfachere oder schnellere Alternativen für mein Handeln gäbe. Diese Unsicherheit hat sicher viel mit meiner generell fehlenden Erfahrung im Bereich Computerspielen zu tun, denn wenn einem die Spielgenres mit ihren Logiken und Mechanismen schon bekannt sind, dürfte sich dieser Punkt von alleine klären.

Eine entscheidende Voraussetzung, damit es überhaupt zu Unsicherheit kommen kann, scheint mir die aktive Partizipation mit dem/am Medium zu sein. Das Spiel zwingt mich, aktiv etwas zu tun und das Medienprodukt nicht einfach nur zu konsumieren, wie es bei Filmen, Serien oder Büchern der Fall ist. Durch dieses aktive Handeln aber ist es erst möglich, etwas ‹richtig› oder ‹falsch› zu machen. Es ist also nicht unbedingt nur meiner Unerfahrenheit, sondern auch dem Medienformat geschuldet, dass Unsicherheit bei dieser Erfahrung eine so bedeutende Rolle spielt. Das Gefühl der Unsicherheit ist aber nicht über das gesamte Spielen konstant geblieben. Selbst als Einsteiger/in sammelt man schnell Erfahrungen, sodass die Unsicherheit mit voranschreitendem Spielverlauf in der Regel abnimmt. Dies lässt sich mit Verweis auf Huizinga erklären, wonach ein Spiel auf spezifischen, festgelegten Regeln basiert.[40]  Am Anfang meines Spielerlebnisses sind mir diese Regeln noch nicht bekannt, was Unsicherheit schafft. Im Verlauf des Spiels lerne ich die Spielregeln kennen und werde so sicherer. Negativ gedeutet kann hier aber auf die unklare Grenzziehung zwischen Unsicherheit und Spannung hingewiesen werden. Wenn Unsicherheit im Sinne eines spannungserzeugenden Elementes gelesen wird, geht mit zunehmendem Wegfallen der Unsicherheit auch Spannung verloren und das Spiel büsst an Reiz ein.

Eine weitere Erfahrung, welche ich im Verlauf des Spiels wiederholt erlebte, sind Leerläufe, die bereits als Auslöser für Frustration erwähnt wurden, nun aber aus einer anderen Perspektive beleuchtet werden:

«[…] Das Lager ist jedoch verlassen. Ich laufe herum und warte darauf, etwas zu finden. Nachdem ich sicher an die 5 Minuten planlos herumgelaufen bin, finde ich beim Lager eine Nachricht der Teenager. → für folgende Aufträge: Besser zuerst alles genau anschauen, bevor man sinnlos in der Gegend herumrennt.»

Aus dem Ausschnitt wird klar, was ich mit dem Begriff meine: Es sind die unnötig lange Wege oder das Suchen von Hinweisen; ganz allgemein ein verzögerter Spielfluss. Diese Leerläufe zeichnen sich dadurch aus, dass, obwohl die Aufgaben eigentlich klar gegeben waren und keine speziellen Hindernisse überwunden werden mussten, beträchtliche Zeit gebraucht wurde, um Aufgaben zu erledigen. Eben aufgrund dieser Ausgangslage wurden die Leerläufe zur Quelle von Irritation und Frustration. Auch die Erfahrung der Leerläufe war im Spielverlauf nicht gleichmässig verteilt. Obwohl ein gewisser Lernprozess stattfand und zu Beginn des Spiels wesentlich mehr solcher Verzögerungen geschahen, sind sie auch am Schluss nicht völlig verschwunden. Hier scheint aber nicht nur die fehlende Erfahrung, sondern auch ein Nachlassen der Konzentration ein Grund für das Entstehen der Leerläufe gewesen zu sein. Das gleiche Phänomen kann also an unterschiedlichen Stationen im Spiel aufgrund verschiedener Umstände auftreten.

Eng in Verbindung mit den beiden oben besprochenen Erfahrungen steht der Aspekt des Lernens. Lernprozesse und das Entdecken neuer/anderer Möglichkeiten sind grundlegende Aspekte des (Computer-)Spielens.[41] Ich habe beim Spielen viele solche Lernprozesse durchgemacht und möchte dies zunächst anhand zweier Beispiele illustrieren:

«Beim Klettern (aufwärts) ist es entscheidend, exakt am richtigen Ort zu stehen (Position, Entfernung), da klettern sonst nicht möglich ist.»

Hier wird deutlich, dass selbst einfache und grundlegende Aktionen bezüglich der Steuerungsmöglichkeiten im Spiel zunächst nicht selbstverständlich waren. Was im Verlauf des Spiels zu einem Routineakt wird, muss am Anfang zuerst ausprobiert, durchschaut und schliesslich erlernt werden:

«[…] In diesem Zusammenhang wird mir auch klar, welch wichtige Funktion die Versorgungskisten haben. In jeder Kiste gibt es eine Karte, anhand derer man die eigene Karte ‹aktualisieren› kann. Die eigene Karte wird dadurch immer genauer und vollständiger.»

Im zweiten Beispiel wird deutlich, dass diese Lernprozesse von grösserer Bedeutung für den restlichen Spielverlauf sein können. Die Orientierung im Spiel verläuft grösstenteils über eine Karte, welche Orte und Wege der Spielwelt enthält. Die Karte ist zu Beginn noch nicht sehr detailliert, die Spielenden können sie aber während dem Spiel verfeinern, indem sie an vorgegeben Orten genauere Informationen in die eigene Karte übertragen. So schafft man sich selbst neue Wege und Möglichkeiten um im Spiel voranzukommen. Abbildung 6 zeigt verschiedene Stationen der Kartenfunktion: einerseits die Versorgungskiste als Ort, an dem eine Vervollständigung der eigenen Karte möglich ist, daneben die Karte im leeren Anfangszustand und schliesslich die schon etwas detailliertere Karte, wie sie im Spielverlauf zustande kommt.

Abb. 6: Versorgungskiste, Karte und Aktualisierung

An dieser Stelle muss aber darauf hingewiesen werden, dass das Verfassen der Feldnotizen wahrscheinlich einen Einfluss auf die Effizienz des Lernprozesses hatte. Gerade durch die Notizen bin ich mir in erhöhtem Masse bewusst, was ich tue und damit bewirke, sodass ich grössere und schnellere Fortschritte erziele. Gleichzeitig wird mit dem Verfeinern der Karte ganz explizit ein Erfolg, im Sinne eines ‹Vorankommens› sichtbar, der wiederum Motivation für weiterführende Lernprozesse darstellt. Allgemein scheinen die Konzepte Wiederholung und Routine wichtige Bestandteile der Erfahrungen im/um das Computerspiel zu sein.

Abschliessend möchte ich noch auf eine Erfahrung eingehen, die ich unter das Stichwort ‹Cheats›[42] stelle. Die beiden Aspekte, um die es im Folgenden gehen soll, sind Techniken, die in den Spielverlauf eingreifen, um einfacher oder schneller ans gewünschte Ziel zu kommen. Die erste Technik basiert auf spielinternen Mechaniken. Im Verlauf des Spiels ist es vorgekommen, dass ich an einer bestimmten Stelle in einer Höhle zu weit gelaufen bin und nicht mehr wenden konnte. Um wieder an den richtigen Ort zu gelangen, hätte ich erneut einen langen Weg zurücklegen müssen. Weil ich aber sowieso schon zum zweiten Mal an dieser Stelle am Spiel stecken blieb, fiel der Entschluss, das Spiel ohne zu speichern zu beenden, um so am letzten gespeicherten Zwischenstand (kurz vor der gewünschten Spielstelle) wieder einsetzen zu können. So konnte ich also einen auf der Spielmechanik basierenden Trick benutzen, um meine Fehler im Spiel zu korrigieren. Auch diese Erfahrung hat wiederum einen Bezug zu den schon angesprochenen Lernprozessen. Man muss zunächst lernen und verstehen, wie die Möglichkeit des Speicherns/Nicht-Speicherns für die eigenen Zwecke genutzt werden kann.

Zudem habe ich erst im Spielverlauf begonnen, mich von den vorgegebenen Handlungsanweisungen zu lösen und nicht intendierte Möglichkeiten des Spiels zu nutzen. Eine zweite Variante in diesem Bereich betrifft das in Anspruch nehmen von ‹Hilfe von Aussen›. Relativ spät im Spiel ist man durch eine Höhle an einen neuen Ort vorgestossen. Diesen Ort musste man dann wieder verlassen, der Weg durch die Höhle war jedoch von dieser Seite versperrt und die Karte hatte keine Alternativen verzeichnet. Nachdem ich dann sicherlich zwanzig Minuten nach einem Ausweg gesucht und nichts gefunden hatte, entschloss ich mich, im Internet Hilfe zu hohlen. Via Google bin ich schnell auf Walkthrough-Videos[43] zu Firewatch gestossen.[44] Innerhalb weniger Minuten habe ich die Lösung zu meinem Problem gefunden und konnte weiterspielen. Die Erfahrung, an einem Hindernis nicht mehr weiterzukommen, hat nicht nur dazu geführt, andere Möglichkeiten des ‹Tricksens› zu entdecken, sondern auch, dass Computerspiele in einen umfassenden medialen Kontext eingebunden sind und Erfahrungen nicht nur im Spiel, sondern auch in dessen grösserem Existenzkontext geschehen können.

Verschriftlichung: Spielend und spielerisch Forschen

Zum Abschluss dieses Beitrags möchte ich auf einige Besonderheiten und Schwierigkeiten eingehen, die sich während des Forschungsprozesses ergeben haben. Die bedeutendste Schwierigkeit ergab sich in der Frage, wie die Feldnotizen während des Spielens am besten verfasst werden konnten und sollten. Nebst den schriftlichen Notizen bestand auch die Möglichkeit der Audio- oder Videoaufnahme, wobei ich diese beiden Möglichkeiten dann aber wieder verworfen habe. Der Hauptgrund lag darin, dass ich mich beim Kommentieren meiner Handlungen, wie es für eine Audioaufnahme nötig gewesen wäre, nicht wohl fühlte. Zudem habe ich bereits darauf hingewiesen, dass mein Laptop während dem Spielen konstant sehr laut war, was beide Formen der Aufnahme beträchtlich gestört hätte.

Ich blieb also dabei, nach dem Spielen zunächst handschriftliche Notizen zu verfassen, die dann später auf dem Computer etwas ausformuliert wurden. Diese Vorgehensweise wird in Abbildung 7 mit dem Nebeneinander von Laptop und Notizheft sichtbar. Dabei war vor allem entscheidend, die Zeitspanne zwischen Spielen und Notieren sowie zwischen handschriftlichen Notizen und der Weiterverarbeitung auf dem Computer so kurz wie möglich zu halten. Wenn zu viel Zeit verstrich, wurden die Erinnerungen verschwommen und weniger detailliert. Grundsätzlich habe ich mich bemüht, möglichst viele Facetten der Spielerfahrung (Inhalt, Emotionen, Technische Aspekte usw.) festzuhalten, auch wenn eine allumfassende Wiedergabe der gemachten Erfahrung natürlich nicht möglich war.

Abb. 7: Notizen

Nebst der Frage, welche die Form der Verschriftlichung betrifft, ergab sich in der Menge des Datenmaterials eine gewisse Problematik. Weil ich die gemachten Erfahrungen ausführlich besprechen und die Spielerfahrung umfassend beschreiben wollte, entstand eine sehr grosse Datenmenge. Darum habe ich beschlossen, mich mehrheitlich auf die Erfahrungen eines einmaligen Durchspielens zu beschränken und nur selten auf Unterschiede des ersten und mehrmaligen Spielens einzugehen. Mir ist bewusst, dass dies sicherlich einige spannende Erkenntnisse hervorgebracht hätte, doch aufgrund des beschränkten Rahmens des Beitrags und der grundsätzlich angestrebten Perspektive eines Computerspiel-Neulings wurden solche weiterführenden Aspekte des Spielens hier ausgespart.

Fazit: Perspektivenwechsel

Dieser Beitrag hat sich aus kulturwissenschaftlicher Perspektive mit dem Medium Computerspiel beschäftigt, wobei ich mithilfe der autoethnografischen Methode meine ersten Game-Erfahrungen am Beispiel des Games Firewatch untersucht habe. Ich bin dabei der Frage nachgegangen, welche Erfahrungen, (Spiel-)Prozesse und Emotionen beim erstmaligen Spielen eines Computerspiels beobachtet werden können.

Bereits die Methodenwahl (Autoethnografie) führte mich ins Neuland. Die Vorgehensweise war eine ungewohnte Art des Forschens, welche die Praxis stärker in den Vordergrund stellte, als ich mir bis anhin gewohnt war. Die eigentliche Arbeit hat Spass gemacht, doch war ich gleichzeitig auch in ungewohntem Masse von Unsicherheiten bzgl. meines Vorgehens geprägt. Der Rückgriff auf schon gemachte Erfahrungen und Routinen war nur begrenzt möglich, was teilweise zu Verunsicherung geführt hat. Daneben hat die Autoethnografie aber viel Positives ermöglicht: Ich habe mich intensiv und bewusst mit meinem Denken, Handeln, Fühlen und Wissen auseinandergesetzt, was neue Perspektiven auf kulturwissenschaftliche Fragestellungen ermöglicht hat. Obwohl ich die Autoethnografie im Rahmen meiner Untersuchung für eine bereichernde und hilfreiche Methode halte, bin ich mir nicht sicher, ob ich sie für andere Themen in gleichem Masse verfolgen würde. Es fehlt hier die gewohnte Distanz zwischen Forschenden und Untersuchungsobjekt, was mir persönlich bei gewissen Thematiken wahrscheinlich nicht angenehm wäre. Für den Bereich Gamen war dies aber kein Problem und hat mir damit ermöglicht, eine bestehende Wissens- und Erfahrungslücke erstmals zu erkunden.

Die eigentliche Analyse des Datenmaterials hat unterschiedliche Schwerpunkte des Spielerlebnisses hervorgebracht. Unsicherheit bildet das dominierende Gefühl, das sich über den gesamten Erlebnisprozess hindurch gezogen hat. Das Spiel als Medium hat sich mit seinen Spezifika in grossem Masse von sonstigen populärkulturellen Medien abgehoben, sodass nur bedingt auf bestehende Kenntnisse/Erfahrungen zurückgegriffen werden konnte. Als Gegensatz dazu war Neugier aber ein bedeutender Antrieb. Trotz fehlenden Kenntnissen und Erfahrungen wollte ich weiterspielen, um so die Logiken, Funktionsweisen und Reize des Spielens zu verstehen. Die Erfahrung hat gezeigt, wie wichtig Lernprozesse, Wiederholung und Routine für das Spielen sind. Während zu Beginn vieles unklar und schwierig zu bewältigen war, werden durch Wiederholung schnell Lerneffekte vollzogen und das eigentliche Spielen verläuft einfacher und entspannter. Emotionale Reaktionen haben während dem Spielen eine (für mich) erstaunlich grosse Rolle eingenommen. Ich war ins Geschehen involviert und habe inner- und ausserhalb der digitalen Spielwelt auf Ereignisse, Stimmungen und Inhalte reagiert.

Abschliessend und als möglicher Ausblick stellt sich mir die Frage, welche Rolle dem Reiz des Neuen bei meiner Erfahrung zukam. Waren Emotionen und Erfahrungen anderer oder intensiverer Art, wenn keine Vorkenntnisse vorhanden waren und wie sieht die Situation aus, wenn diese Vorbedingungen nicht gegeben sind? Diese Fragen sind hier nicht zu beantworten, würden jedoch sicherlich eine spannende Ausgangslage für weiterführende Beschäftigungen mit dem Thema Computerspiele bieten.

Wie meine persönliche ‹Spielerinnenkarriere› weitergehen wird, kann ich zu diesem Zeitpunkt nicht abschliessend beantworten. Einerseits glaube ich, dass meine Motivation zum Weiterspielen ohne interessiertes, unterstützendes und anspornendes Umfeld eher gering sein wird. Andererseits haben mich diverse Aspekte (Ästhetik, Inhalt, Emotionen) des Spielens überrascht und angesprochen, weshalb ich neugierig bin, ob dies auch bei anderen Games so wäre. Da ich nun die Einstiegshürden des digitalen Spielens bereits einmal überwunden habe, wären zumindest die Bedingungen gegeben, um in der Zukunft einen weiteren Spielversuch zu wagen. 

Quellenangaben

Gamographie

Firewatch. Campo Santo (Mac OS 2016).

Audiovisuelle Quellen

ODiN OnLiNe Lp: «Firewatch #9 BRIAN GOODWIN « pc let’s play gameplay walkthrough». 11.02.2016 (https://www.youtube.com/watch?v=K1Qe9ascCVA, abgerufen: 22.12.2016).

Sekundärliteratur

Bareither, Christoph: Gewalt im Computerspiel. Facetten eines Vergnügens. Bielefeld: transcript, 2016.
Beil, Benjamin: Game Studies – eine Einführung. Berlin: Lit, 2013.
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Bönisch-Brednich, Brigitte: Autoethnografie. Neue Ansätze zur Subjektivität in kulturanthropologischer Forschung. In: Zeitschrift für Volkskunde 108/1 (2012), 47–63.
Brown, Ashley: Awkward. The Importance of Reflexivity in Using Ethnographic Methods. In: Petri Lankoski und Staffan Björk (Hg.): Game Research Methods. Pittsburgh: ETC Press, 2015, 77–92.
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Huizinga, Johan: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel. Hamburg: Rohwolt, 1958 (1938).
Mäyrä, Frans: An Introduction to Game Studies. Games in Culture. London: SAGE, 2008.
Neitzel, Britta und Rolf F. Nohr: Game Studies. In: MEDIENwissenschaft 4 (2010), 416–435.
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Wirth, Werner: Präsenzerleben und Involvement in neuen Medien. In: Leonard Reinecke und Sabine Trepte (Hg.): Unterhaltung in neuen Medien. Perspektiven zur Rezeption und Wirkung von Online-Medien und interaktiven Unterhaltungsformaten. Köln: von Halem, 2012, 100–121.

Internetquellen

Steam: «Welcome to Steam» (http://store.steampowered.com/about, abgerufen: 6.1.2017).
Mitgusch, Konstantin: «Playographies». Prezi, 11.6.2012 (https://prezi.com/tpem8wzkxl16/playographies, abgerufen: 2.2.2017).

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Spielsituation. Aufnahme von Muriel Gubler, Müllheim, 10.3.2017.
Abb. 2: Bedienungshilfen (Firewatch 2016). Screenshot von Muriel Gubler, 2017.
Abb. 3: Beispiele für Landschaften (Firewatch 2016). Screenshot von Muriel Gubler, 2017.
Abb. 4: Beispiele für Stimmungen (Firewatch 2016). Screenshot von Muriel Gubler, 2017.
Abb. 5: Perspektive (Firewatch 2016). Screenshot von Muriel Gubler, 2017.
Abb. 6: Versorgungskiste, Karte und Aktualisierung (Firewatch 2016). Screenshots von Muriel Gubler, 2017.
Abb. 7: Notizen. Aufnahme von Muriel Gubler, Müllheim, 10.3.2017.

 

[1] Dies wird bspw. in der Debatte um Gewalt in Computerspielen deutlich (vgl. Bareither 2016, 9).
[2]  Carolyn Ellis 2004, zitiert nach Ellis, Adams und Bochner 2010, 345 (Hervorhebungen im Original).
[3] Vgl. Ellis, Adams und Bochner 2010, 346-347.
[4] Vgl. Ploder und Stadelbauer 2013, 379.
[5] Vgl. Brown 2015, 88–89.
[6] Vgl. Bönisch-Brednich 2012, 51.
[7] Vgl. Brown 2015, 79–81.
[8] Vgl. Ehn 2011, 54.
[9] Vgl. ebd., 62.
[10] Vgl. Brown 2015, 77–78.
[11] Vgl. Beil 2013, 2.
[12] Vgl. Neitzel und Nohr 2010, 430.
[13] Vgl. Beil 2013, 21–22.
[14] Vgl. ebd., 8–10.
[15] Vgl. Mäyrä 2008, 27–28.
[16] Für eine Übersicht siehe bspw. Mitgusch 2012.
[17] Vgl. Butler 2007a, 22.
[18]Steam ist eine Plattform, die einerseits Spiele anbietet, daneben aber auch als soziales Netzwerk fungiert, das diverse Interaktionen zwischen Nutzer/innen ermöglicht (siehe Steam 2017).
[19] Erste Ideen beinhalteten unter anderem die TV-Serie Black Mirror, den Film Scott Pilgrim vs. The World oder den Roman Erebos von Ursula Poznanski zu analysieren.
[20] Hauptgründe für die Entscheidung waren der leichte Zugang (Kosten und Verfügbarkeit auf Steam), die ansprechende Ästhetik, Empfehlungen im Seminar und die gute Bewertung durch andere Spielende in Online-Reviews.
[21] An dieser Stelle sei auf den Artikel von Maurizio Frei in diesem Band verwiesen, der sich mit dem Subgenre der Walking Simulators beschäftigt und in diesem Rahmen auch Firewatch unter die Lupe nimmt.
[22] Kategorisierung für das Spiel auf Steam: Abenteuer, Indie.
[23] Vgl. Beil 2015, 29.
[24] Die nachfolgenden Zitate sind (sofern nicht anders gekennzeichnet) autoethnografische Erlebnisberichte, welche aus meinen persönlichen Forschungsnotizen stammen, die während dem Spielen entstanden sind.
[25] Vgl. Butler 2007a, 117–118.
[26] Vgl. Carr 2006, 36–37.
[27] Vgl. Fahlenbrach und Schröter 2015, 168–169.
[28] Zum Einsatz von Geräuschen und Musik in Firewatch sei auf den Beitrag von Yvonne Simmen in diesem Band verwiesen.
[29] Vgl. Fahlenbrach und Schröter 2015, 170.
[30] Vgl. Bareither 2016, 158.
[31] Vgl. Hefner und Klimmt, 2012 50, 54.
[32] Bareither 2016, 115.
[33] Vgl. Butler 2007a, 102–103.
[34] Vgl. Wirth 2012, 100–101.
[35] Vgl. Butler 2007b, 72.
[36] Zu den positiven Seiten von Störungen und Fehlern sei auf den Beitrag von Manuel Kaufmann in diesem Band verwiesen.
[37] Huizinga 1958, 18.
[38] Vgl. Bareither 2016, 27–28 sowie 163.
[39] Vgl. Bareither 2016, 158.
[40] Vgl. Huizinga 1958, 17.
[41] Vgl. Butler 2007b, 67.
[42] Von engl. to cheat (betrügen, mogeln, schummeln) sind damit Abkürzungen bzw. Handlungsweisen gemeint, die nicht spielintendiert sind.
[43] Videos, in denen sich Spieler/innen beim Durchspielen und kommentieren ganzer Spiele filmen.
[44] ODiN OnLiNe Lp 2016.